Grottaglie – Stadt der Keramik

Schloss Grottaglie

Über dem Keramikviertel thront das Bischhofsschloss

Seit dem 18. Jahrhundert wird in Grottaglie, in der Provinz Tarent (it. Taranto) etwa 25 km von der gleichnamigen Stadt entfernt, Keramik hergestellt. Im Keramikviertel unterhalb des Schlosses entlang der Via Francesco Crispi reihen sich hügelaufwärts eine kleine Werkstatt an die andere. Die Handwerker tragen überwiegend die gleichen Nachnamen, obwohl sie unterschiedlichen Familien angehören. Der Name „Fasano“ taucht dabei überproportional häufig auf den Namensschildern auf. Sicherlich deutet das darauf hin, dass die Kunst, Ton zu gleichsam schönen als auch nützlichen Gegenständen umzuformen, schon über Jahrhunderte in Familien wie dieser weitergegeben wurde.

Keramikfiguren zum Trocknen aufgestellt vor der Werkstatt von Cinzia Fasano

Keramikfiguren zum Trocknen aufgestellt vor der Werkstatt von Cinzia Fasano

Über den Winter arbeiten die Töpfer fleißig in ihren, in den Fels gehauenen Werkstätten, um in den Sommermonaten die Türen für die Touristen weit aufzusperren und das handgetöpferte Geschirr, Lampen, Blumentöpfe, Uhren oder weniger funktionielle, aber dafür traditionelle Tier- und andere Figuren an die geneigten Kaufenden zu bringen. Stöbern und in jede Ecke schauen – ausdrücklich erwünscht! Von Juni bis September wird hier der Jahresumsatz gemacht und die ganze Familie

Vor der Tür von Cosimo Quaranta

Vor der Tür von Cosimo Quaranta

arbeitet in der Werkstatt und im Verkauf mit. Schon die Jüngsten atmen im mobilen Kinderbettchen die tongeschwängerte Luft und die etwas Älteren beobachen Eltern, Onkel und Großeltern beim Töpfern, um gelegentlich schon selbst mit Hand anzulegen. Auf dem öffentlichen Parkplatz am Fuße des Hügels ist dann am fortgeschrittenen Vormittag kaum ein freier Platz zu finden.

Nicola Fasano

Wer bei Nicola Fasano Ceramiche eintritt und sich als Deutscher zu erkennen gibt, erfährt garantiert auch von der „guten, alten Zeit“, als die Familie noch ein Geschäft in Berlin unterhielt und Signore Franco sich rund um den Ku-Damm auskannte wie in seiner Westentasche. Auch wenn Berlin nur noch eine schwärmerische Erinnerung ist, sind Werkstätten wie diese im Zuge der Globalisierung und mit Hilfe des Internets mit ihren Produkten in der ganzen Welt vertreten. Daher ist seine neuste Geschichte brandaktuell: Die indische Miliardärsfamilie Agarwal hat unlängst ihr gesamtes Hochzeitsgeschirr (ca. 1000 Teile) und 400 echtvergoldete „piumi“ (stilisierte Pinienzapfen) als Gastgeschenke bei ihm bestellt. Solch ein geschäftlicher Erfolg ist verdienter Lohn harter Arbeit und ein Hauptgewinn zugleich.

In den Gewölben von Cosimo Vestita

In den Gewölben von Cosimo Vestita

Wer sich in der Keramikausstellung im Bischhofsschloss von Grottaglie aus dem 14. Jahrhundert oder auch in den Vetrinen mit historischen Funden anderer Schlösser in Apulien umsieht, wird schnell feststellen, dass sich die Formen, Farben, Muster und auch gegenständliche Bemalungen seit vielen Jahrhunderten ähneln oder gar gleichen. So gibt es immer noch archaisch-mittelalterliche Bemalungen, aber auch orientalische angehauchte Dekore. Doch auch ein Hahn mit stolz geschwellter Brust und mehr oder weniger aufgerissenem Schnabel auf gelblichem Grund ist ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich um Keramik aus Grottaglie handelt. Jede Töpferfamilie hat dabei ihren eigenen Hahn entwickelt, so dass das geübte Auge bereits am Fredervieh feststellen kann, aus welcher Werkstatt die irdene Ware stammt.

IMGP0222Aber natürlich beschränkt sich das Dekor nicht nur auf Hühner. Alles, was typisch für Apulien ist, wird auf Ton verewigt: Kaktusfeigen, Zitronen, Granatäpfel, Olivenbäume, das Meer, Vögel, Blumen, Segelboote… . Der Konkurrenzdruck ist hart. DaherIMG_4288 entwickeln die Töpfer immer wieder neue Dekore oder experimentieren mit den Formen. Wer nicht genau das findet, was er sucht, kann sogar mit dem Handwerker seiner Wahl sprechen und das entsprechende Stück nach den eigenen Wünschen bestellen. Wir haben uns beispielsweise unser Klingelschild anfertigen lassen. Keramik aus Grottaglie geht in alle Welt. Daher ist das Nachschicken an den Heimatort für alle nicht Einheimischen nur eine Frage der Finanzen.

Beim Besuch des kleinen Ortes sollte man unbedingt beachten, dass die Öffnungszeiten dem Lebensrhythmus der Süditaliener folgen und außerhalb der Hochsaison (Juli/ August) sicher nicht vor 10 oder 11 Uhr öffnen und auch über Mittag (13 bis 17 Uhr) geschlossen haben. Auf halbem Weg den Hügel hinauf befindet sich auch eine Bar, auf deren Balkon man sich mit einem Kafffe oder einem anderen Getränk und einem Hörnchen vom Tragen der immer schwerer werdenden Taschen erholen kann. In der typischen, weiß getünchten Altstadt gibt es neben der sehenswerten Mutterkirche auch Trattorien und Restaurants für den etwas größeren Hunger.IMGP0248

Die Keramikausstellung im Bischofsschloss, zu dem noch ein romantisch-verfallener, mittelalterlicher Garten gehört, ist von August bis September von 9:30 – 12:30 Uhr und von 18:00 bis 21:00 Uhr geöffnet. Von Dezember bis Januar werden Weihnachtskrippen gezeigt.

Mehr über Grottaglie auf diesem Blog:

Ein Bericht über den Pumo – ein traditionelles Dekorationsstück aus Keramik – Apulischer Geheimtipp für Glück und Wohlstand

Ein Bericht über den Garten des Bischhofsschlosses von Grottaglie: Romantischer Verfall

4 Gedanken zu „Grottaglie – Stadt der Keramik

  1. Gitti

    Grottaglie, herrliche Erinnerung an schöne Urlaubsausflüge. Massig Keramik , dann das Schloss und die Altstadt. Wer kann sollte sich das nicht entgehen lassen.

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  2. MeerSchmuck

    Es ist 2020 und ich weiss nicht, ob dieser Block aktiv ist, aber ich MUSS einfach meine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebtes bezüglich Grottaglie und der Keramik niederschreiben. Im Jahr 2010 war ich als Archäologin zusammen mit der Kuratorin des Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen in Grottaglie. In Vorbereitung auf die Sonderausstellung „Ceramica Popolare“ – welche von 2010 bis 2012 zu sehen war – war es unsere Aufgabe, die lückenlose Tradierung seit der Antike in die Neuzeit nachzuweisen. Apulien war – wie ganz Unteritalien – als Magna Graeca bekannt und wurde in der Antike von Griechen besiedelt. Die Griechen brachten die klassische Kunst des Töpferns mit in die neue Heimat. In der Nähe von Grottaglie wird der Ton, der für die Keramik notwendig ist, noch heute abgebaut. In vielen Gesprächen mit den zahlreichen Töpfern vor Ort, können die Familien mindestens 15 Generationen des Handwerkes und der Keramikkunst nachweisen. Grundformen und Muster haben sich bis heute erhalten und die Form folgt der jeweiligen Funktion. Das Gebiet in und um Grottaglie ist gespickt mit archäologischen Funden – vor allem Keramikscherben. Private Bekanntschaften haben uns anvertraut, dass bei Grabungen am Haus im Zusammenhang mit Umbauten antike Scherben zu Tage gebracht wurden. Die anliegenden Olivenhaine sind gespickt mit antiken Gräbern (Pezza Petrosa) und die Zeit bringt von ganz alleine Scherben an die Oberfläche. Dieser Ort – mit seinen zahlreichen Töpfern und Keramikmeistern – ist etwas ganz besonderes, denn hier hat sich ein Handwerk seit Jahrtausenden erhalten und ist nebst der mündlichen Überlieferung auch heute noch hautnah zu spüren. Semplicemente fantastico!

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