Ich bin ein gefundenes Opfer für geschäftstüchtige Verkäufer, denn ich kann schlecht „nein“ sagen. So kam ich z.B. vom Markt immer mit mehr Obst zurück, als ich kaufen wollte, bis Pasquale mir geraten hat, den Preis anzusagen. Also kaufte ich fortan nicht mehr ein Kilo Obst, aus dem ganz leicht zwei wurden, sondern Obst für einen Euro.
Dann fand ich einen Obst- und Gemüsehändler meines Vertrauens, der seine Waren täglich an einer Hauptstraßenecke in Triggiano von einem roten LKW hinunter verkauft. Er hatte sich bei mir beliebt gemacht, als er mir eine Zwiebel schenkte, als ich dringend Rührei essen und kein ganzes Kilo Zwiebeln kaufen wollte.
Doch seit einem Vierteljahr bin ich ihm untreu geworden, denn da kam Pino. Pino zählt zur Gattung der italienischen Verkaufsfüchse. Sein kleiner Handel mit Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten befindet sich in der Tür eines Kellerabstiegs, sodass nur sein Oberkörper auf die Straße hinauslugt. Über all die Kisten, die er vor und neben sich aufstapelt, schaut manchmal sogar nur sein Kopf hinweg. Aus seinen kleinen Augen blitzt unter einer grauen Schirmmütze Bauernschläue hervor. Unser ganzer Palazzo kauft bei ihm und natürlich läuft sein Geschäft so privat, dass die Steuer nichts davon erfährt.
Pino sorgt nun schon seit Monaten dafür, dass ich immer gut mit Obst der Saison versorgt bin. Sein Kellerloch liegt an der Straße, die wir nehmen, wenn wir zum Bahnhof oder zu Maria gehen. Ich muss also fast jeden Tag an ihm vorbei, was nie ohne ein kleines Schwätzchen abgeht, da er schon von weitem „Buon giorno, Seniora!“ ruft und sein Glanzstück des Tages anzupreisen beginnt. Das Ganze endet immer damit, dass er es als „buonissimo“ (hervorragend) und „senza veleni“ (ohne Gift) beschreibt, während er ungefragt schon eine Plastiktüte mit Weintrauben, Pfirsichen, Granatäpfeln oder anderem Obst vollstopft. Pino ist auch der einzige Mensch im Großraum Bari, der mich siezt, und, dass er mich nicht vergiften will, rechne ich ihm hoch an.
Als ich an einem Tag meinte, ich würde auf dem Rückweg ein paar Weintrauben mitnehmen, diese jedoch bei meiner Rückkehr bereits ausverkauft waren, klingelte er am gleichen Abend bei uns an der Haustür und brachte mir die Kleinigkeit von drei Kilo Trauben angeschleppt. Seit dem denkt er wohl, drei Kilo seien die optimale Menge an Obst für mich. Zum Glück haben wir ein großes Obst- und Gemüsefach in unserem Kühlschrank, das Pinos Mengen aufnehmen kann.
In der letzten Woche passierte ich seinen Straßenverkauf und wie üblich hörte ich schon aus einiger Entfernung sein „Buon giorno, Seniora!“ Dann setzte er hinzu: „Heute habe ich etwas ganz Besonderes für Sie! Venga! Venga!“ Ein anderer Mitmensch in fortgeschrittenem Alter, der sich häufig zu einem Schwatz mit ihm am Kellerloch einfand, nickte wie wild mit dem Kopf. Also lugte ich interessiert in die Kiste, die der findige Verkäufer unter seinen Pfirsichen hervorzog. Was ich sah, war auf den ersten Blick nicht so berauschend: kleine bräunliche Kugeln und lauter welke Blätter. Doch Pino meinte stolz: „Das sind nespole invernali (Wintermispeln)! Die gibt es heute kaum noch. Aber schon unsere Vorfahren und sogar die Römer hatten Mispelbäume. Die wussten noch, wie man sich im Winter mit Obst und Vitaminen versorgt.“ Sein Kompagnon nickte wieder eifrig mit dem Kopf. „Die müssen Sie aber noch eine Weile liegen lassen und täglich kontrollieren. Sobald sie weich werden, können Sie sie essen.“ Dieses Mal packte er mir nur ein Kilo ein.
Mispeln kannte ich bisher nur aus dem späten Frühjahr. Tatsächlich sehen diese von der Form her so ähnlich aus wie Pinos Wintermispeln; also wie das, was von Rosenblüten übrig bleibt, wenn alle Blütenblätter abgefallen sind. Allerdings sind die Frühlingsmispeln größer und sehr viel gelber. Selbst Pasquale, dem ich Pinos Besonderheit am nächsten Tag zeigte, hatte noch nie von Wintermispeln gehört. Doch seit Wikipedia gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, etwas nicht zu wissen. Also schnell im Onlinelexikon überprüft, ob es überhaupt Wintermispeln gibt, und tatsächlich scheint es sich bei den Früchten auf meinem Küchentisch um die „Echte Mispel“ zu handeln.
Bisher lag Pinos geheimnisvolle Spezialität mehr oder weniger dekorativ auf einem Teller und ich wartete gespannt darauf, dass sie weich werden, um eine kosten zu können. Die zeitige „Nespole“-Variante, laut Wikipedia auch Japanische Wollmispel genannt, schmeckt mir nämlich sehr gut: fruchtig, aber gleichzeitig auch angenehm säuerlich.
Bei der heutigen Kontrolle fand ich nun eine Frucht, die mir weich genug erschien, um reif zu sein. Die zeitige Mispel isst man ganz einfach, indem man ihr die Haut abzieht, dann die großen Kerne entfernt und anschließend das saftige Fruchtfleisch genießt. Von Pinos Wintermispeln lässt sich die Haut jedoch nicht abziehen. Also schälte ich sie mit einem kleinen Messer ab. Das Fruchtfleisch darunter war hellgrün und sah wenig appetitlich aus. Tatsächlich hatte es auch keinen Geschmack und hinterließ nur ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Das Ding wanderte in den Biomüll.
Vielleicht war die Frucht noch nicht reif genug. Ich werde es später noch einmal mit einer anderen probieren. Doch irgendwie habe ich im Gefühl, dass es einen guten Grund für Pinos Vorfahren gegeben haben muss, auf dem apulischen Boden mehr Wein und Zitrusfrüchte als Wintermispeln anzubauen.
Danke für Deine tollen Berichte. Gerade kam es mir so vor als ob ich mit Dir die Obsteinkäufe gemacht hätte.Als eßbar und geschmackvoll kenne ich auch nur die Mespoles die fast wie Aprikosen aussehen. Am Baum habe ich die Wollmispel auch schon gesehen aber noch nie gegessen. Werde ich nach deinen Ausführungen auch weiter bleiben lassen.
Liebe Grüße aus Österreich von Elfi
PS: Wie geht es Davide?
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Du bringst die Stimmung einfach toll rüber. Ich lese Deine Berichte sehr gern, obwohl Mispeln mich bisher eigentlich überhaupt nicht interessiert haben 😉
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Oh, danke sehr! Ich freu‘ mich über das schöne Kompliment.
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Liebe Corinna, vielen Dank für Deine herrlichen Berichte. Man kann Apulien bei Deiner Beschreibung förmlich riechen und schmecken und fühlt sich fast als wäre man mit dabei. Du bringst dem Leser auf eine wunderbare Art und Weise dieses herrliche Fleckchen Erde mit seinen liebenswürdigen Menschen und deren Lebensgewohnheiten unglaublich nahe und bestätigt was wir selbst alles schon erlebt haben. Das stillt die Sehnsucht nach Apulien ein bisschen bis zum nächsten Urlaub. Vielen Dank dafür! „Puglia mi Piaci“
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Vielen herzlichen Dank für das nette Kompliment. Ich freue mich sehr, dass ihr Apulien genauso mögt wie ich. Vielleicht sehen wir uns ja bei eurem nächsten Urlaub. Meldet euch, wenn ihr in der Nähe seid.
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Sehr gerne 🙂 Das würde uns wirklich sehr freuen, wenn wir uns bei unseren nächsten Urlaub sehen könnten. Ja, wir lieben Apulien sehr und fühlen uns dort fast schon wie zuhause. Wir wohnen meistens in der Nähe von Ostuni oder Carovigno in einer Ferienwohnung und kennen die Gegend mittlerweile schon ziemlich gut. Gerne melden wir uns nächstes Jahr im September bei Euch wenn wir wieder in Apulien sind. Herzliche Grüße aus Oberfranken
Margit
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Ja, na, wenn ihr sowie so schon da seid, wo wir auch immer sind, dann müsste es sich doch ganz leicht machen lassen, sich zu treffen. 🙂
Ganz liebe Grüße aus Triggiano nach Oberfranken! Corinna
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Stimmt, zumal wir immer an Bari vorbeifahren, wenn wir bei Ostuni oder Carovigno wohnen. Schade aber auch, dass der nächste Apulien-Urlaub noch so lange hin ist 😦
Liebe Grüße
Margit
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Wir haben doch das Wochenendhäuschen gleich bei Ostuni. Da können wir uns auch dort treffen.. oder in Bari. Dann seht ihr mal was Neues und fahrt nicht immer nur vorbei. 🙂
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Liebe Corinna, das ist aber lieb von Dir, vielen Dank. Das hört sich ja beides fantastisch an, ich bin mal gespannt was es dann wird. Wer die Wahl hat……Bis dahin wird weiterhin fleißig Italienisch mit Babbel gepaukt 🙂 Wir wollen endlich mal ganze Sätze sprechen 🙂
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Dann viel Spaß! Ich kann übrigens nur ein Abo der Zeitschrift Adesso empfehlen. Die hat mir sehr geholfen, mein Vokabular zu verbessern, und ich lese sie auch heute noch sehr gern.
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Danke für den Tipp, da werde ich gleich mal reinschauen.
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ich mag deine Berichte „aus dem Leben!!!
so einen Obsthändler hätte ich auch gern… die Mispeln, die bei uns wachsen, kann man erst nach dem Frost essen genauso wie Hagebutten oder Schlehen. Auf apulische wird das wohl eher nicht zutreffen? aber probiere es aus und lege eine Frucht zur Probe in den Tiefkühler… lg
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Na, das werde ich doch glatt mal probieren. Danke für den Tipp und auch das Kompliment!
Aktuell habe ich so viel Zuspruch bekommen, dass ich wirklich motiviert bin, trotz der knappen Zeit, am Bloggen dranzubleiben. 🙂
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Danke für den super Artikel 🙂 Ich hab vor zwei Wochen auch einen Mispelbaum im Garten gepflanzt 😀 Liebe Grüße aus Österreich, Gartenleidenschaft
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Ja, dann kannst Du uns auf dem Laufenden halten, was das Bäumchen und natürlich später auch die Früchte betrifft.
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Liebe Corinna,
das ist so lebendig erzählt, als wäre ich dabei.
Mispeln kenne ich nur von den Bäumen, die dann sowas wie Nester zeigen.
Liebe Grüße Bärbel
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Liebe Bärbel,
vielen Dank für das Kompliment! Das ist wirklich lieb von Dir.
Die Mispeln, die Du meinst, könnten Misteln sein… unter deren Zweigen man sich an Weihnachten küssen soll. Ich glaube, da liegt keine Verwandtschaft vor.
Viele Grüße,
Corinna
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Nein, es sind Mispeln
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Mhmmm… ich hab noch keinen Mispelbaum live gesehen. Kannst ja mal sehen, ob die Früchte so aussehen wie auf meinem Foto. Bisher konnte ich noch keine Essen… und das Experiment mit dem Gefrierschrank hat irgendwie nur zu Vermatschung geführt.
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Wir haben diesen Mispelbaum ebenfalls im Garten. Jajaaa! Meines Wissens nach, brauchen die Mispeln Frost. Zumindest sollten sie aber wirklich weich sein. Es ist ein irres gefrickel, bis man das bisschen Zeug an Fruchtfleisch freigelegt hat. Allerdings schmecken sie schon gut. Süß und säuerlich, wie du es beschreibst. Bisher haben wir das Fruchtfleisch zu Mus verarbeitet. Ich bin gespannt, ob du noch etwas daraus machst, oder sie alle dem Biomüllgott opferst 😉
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