„Bella figura“ oder trendiges Balzverhalten?

Die Italiener sind gemeinhin dafür bekannt, dass sie in der Öffentlichkeit eine „bella figura“ machen möchten. Dazu gehört, sich stets adrett zu kleiden, sein Aussehen durch Accessoires wie locker in der Armbeuge baumelnde Handtaschen oder lässig um den Hals geschlungene Schals, beinverlängernde High Heels und – sobald es so kalt geworden ist, das es nicht mehr zerfließen kann – ein umfangreiches Make-up aufzuwerten. Ob das nun gerade dunkelpink ausgemalte Lippen und zwei rosa Rougebalken auf den Wangen unter blondgefärbten Haaren mit einem leichten Orangestich sein müssen, wie bei der Check-in-Mitarbeiten auf dem Flughafen neulich, sei dahingestellt.

Die Mehrheit der unter 30jährigen arbeitet aber nicht nur schminktechnisch der „Bella-figura“-Tradition entgegen. 1,50 m hohe Italiener und Italienerinnen kleiden sich seit einigen Monaten in Hosen, deren Schritte vollen Babywindeln gleich auf Kniehöhe hängen, und, als wenn dieser Modetrend nicht bereits genug verkleinern würde, schlagen sie den Saum ihrer Hosenbeine noch so um, dass exakt zwei Zentimeter nackter Haut zwischen Schuhen und Hosenbeinen hervorlugen.

Oben Wattejacke – unten ohne! Was im Sommer noch als Belüftungsmechanismus verstanden werden könnte, lässt im Winter den Wunsch erwachen, vor den Kinderchen auf die Knie zu fallen und ihnen liebevoll aber bestimmt, die Hosenbeine wieder herunterzukrempeln. Dabei wird wirklich alles gekrempelt, was Beine hat: hautenge und andere Jeans, Jogginghosen (!) oder merkwürdig gemusterte Hosen, die aus der Pyjamaschublade zu stammen scheinen.

Offensichtlich verstehe ich nichts von Mode und, wie man diesem Blogbeitrag entnehmen kann, habe ich nur wenig Verständnis dafür. Oder vielleicht bin ich – um es mal mit „Lethal Weapon“ zu sagen – „zu alt für diesen Scheiß“. Andere in meinem Alter stellen sich diese Fragen anscheinend nicht oder kommen zu anderen Schlüssen, denn heute Morgen kam mir auf Baris Hauptflaniermeile, der Via Sparano, ein schätzungsweise gleichaltriger Mann im Businessanzug entgegen – die Beine seiner Anzughose sorgsam bis zwei Zentimeter über seine Converse umgeschlagen. Für einen Moment glaubte ich da, den tieferen Sinn hinter diesem Modetrend erkannt zu haben. Möglicherweise handelt es sich beim gewaltsam freigelegten, pelzigen Knöchelkranz um das neue Brusthaar und die Krempelei versteht sich als Ausdruck modernen Balzverhaltens; als Zeichen von Virilität bei den Männern und eines funktionierenden Rasieres bei Frauen.

Welch‘ ein Glück, dass ich nicht mehr zu balzen brauche! So krempele ich auch weiterhin nicht mit, denn ich kleide mich nach wie vor mit dem geraden Schnitt mit komfortabler Beinweite. Aber auch weil ich ständig irgendwo Flecken von Tafelkreide oder Striche von Witeboardmarkern zur Schau trage, ist bei mir schon von vornherein sowohl jeglicher modischer Hopfen als auch trendiges Malz verloren. (Siehe Zitat „Lethal Weapon“ oben.)

21 Gedanken zu „„Bella figura“ oder trendiges Balzverhalten?

  1. Goritschnig Elfriede

    Herrlich die Beschreibung. Manche Kleiderregeln kann sowieso niemand verstehen. Da heißt es wohl auffallen um jeden Preis.
    Liebe Grüße nach Bari von Elfi

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    1. Corinna Autor

      Danke für die Grüße! Du hast sicher recht. Da geht es auch um’s Auffallen. Und natürlich darum, sich abzugrenzen. Trotzdem sieht es recht lächerlich aus.

      Viele Grüße auch an Dich und die Deinen!
      Corinna

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  2. Arno von Rosen

    Schöne Beobachtung. Es erinnert mich an viele Trends die ich auch ausgelassen habe, wie weite Hosenschläge, Netzhemden im Winter (oder Sommer), John Wayne Hemden, Militärlook oder ähnliches mehr. Aber natürlich war ich Fan von Karottenjeans, bunten Sweatshirts, möglichst mit dem „Benetton“ Schriftzug oder einem kleinen Krokodil drauf. Modeerscheinungen die früher einen Jugenstil geprägt haben und heute nur von Oldies getragen werden, so wie mir 😉

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    1. Corinna Autor

      🙂 Netzhemden würden jetzt gut zu gekrempelten Hosen passen. Dann friert man an beiden Körperenden und das Gleichgewicht ist wiederhergestellt. 😉

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  3. Margit

    Dieses Jahr fielen mir unglaublich viele Italienerinnen mit riesigen Korkkeilabsätzen auf, die aussehen wie Betonklötze an den Füßen. Da war der Absatz fast größer als die Frau. Wie man mit den klobigen Dingern allerdings Männer becircen will, ist mir ein Rätsel.

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    1. Corinna Autor

      Besonders klotzig sehen diese aus, wenn sie nicht aus Kork sondern aus dem gleichen Material wie der Rest des Schuhes sind. Dann denkt man echt, da habe jemand einen Klumpfuß.

      Bevor man – Klumpen oder nicht – solche Schuhe jedoch auf dem schlechten, italienischen Pflaster tragen kann, muss man schon einen Mann bezirzt haben, damit man sich an jemandem festhalten kann. Sonst spielt frau ganz sicher mit ihren Bändern.

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  4. Gitti

    Die Schuhe der Italienerin unter 30 sind nach meiner Meinung wahre Folterinstrumente. Es ist erstaunlich ,dass bei den Verhältnissen auf den allermeisten Gehwegen sich keine etwas bricht. Da wäre alles möglich.

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    1. Corinna Autor

      Sieht sehr komisch aus. Vor allem, wenn es so gehäuft auftritt.

      Dir auch eine schöne Adventszeit und ein tolles Weihnachtsfest!

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  5. Friederike

    Ich staune ja immer über die Wahnsinns-High Heels der jungen Frauen und wie sie übers unebene Straßenpflaster stöckeln…
    Das Aufkrempeln der Hosen wäre was für mich, mir ist eh immer alles zu lang 😉

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  6. frauhilde

    Bin ich froh, dass ich a) schon lange nicht mehr unter den Ü30-ern weile (im Gegenteil) und mich b) mit einer Jeans und einem Pulli als angezogen bezeichne. 😉
    (Okay, vielleicht sollte ich mir balzverhaltenstechnisch doch mal Gedanken machen … Hm …)

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    1. Corinna Autor

      Also ich denke, wenn die 30 erster mal überschritten sind, dann bleibt man sein Leben lang unter den Ü30-ern. Man muss es nur richtig sehen. Was das Balzverhalten betrifft, kann man sicher auch anders balzen. 😉

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