Flucht auf den Gargano

Wenn man die Apulier fragt, wo Apulien am schönsten ist, dann sind die Meinungen definitiv in zwei Lager geteilt. Die Meisten bevorzugen den Salento, den Stiefelabsatz Italiens mit seinen weißen oder goldenen Sandstränden und seinem mondänen Hauptort Lecce. Von Anderen hört man aber, dass die Strände des Gargano denen des Salento in nichts nachstünden.

Der Stadtpatron von Vico del Gargano ist der Heilige Valentin. So gibt es passend dazu eine Kussgasse; so schmal, dass zwei Menschen nicht aneinander vorbeigehen können, ohne sich zu küssen.

Die Region Gargano liegt im Norden Apuliens und bildet den Sporn des italienischen Stiefels. Als Halbinsel wölbt er sich in die Adria hinein und zu Füßen seiner felsigen Küste ziehen sich auch hier kilometerlange, flache Sandstrände am Ufer entlang. Dabei ist die ganze Region ein gigantischer Nationalpark von ca. 120.000 ha Größe. Was der Gargano bietet ist eine abwechslungsreiche Landschaft mit bewaldeten Bergen, deren Hänge im Frühling der Ginster gelb färbt, wo man selbst im Auto noch leise das Geläut von Kuhglocken hört und Ziegenhirten ihre Herden durchs Gebüsch treiben. Die grüne Lunge des Gargano bildet der Foresta Umbra, in dem Eichen, riesige Buchen und Ahornbäume schon hunderte von Jahren Schatten spenden. Man kann ihn nicht verfehlen, denn er ist von jeder größeren Straße ausgewiesen. Trotzdem wollten wir an unserem ersten Wochenende in der wiedergewonnen Freiheit (Apulien ist keine „rote Zone „mehr und man darf seinen Wohnort verlassen) zunächst ein paar Städte des Gargano besuchen und Menschen sehen – nicht zu viele natürlich, denn wir sind über das letzte Jahr Misanthropen geworden, aber einfach mal andere Gesichter (vermutlich hinter Masken versteckt, aber na, ja…) und keine Vorstadthäuser.

Vico del Gargano

Also schnell auf den Wetterbericht geschaut – der versprach nur mittelmäßiges Wetter – aber egal! Ferienhaus gebucht und ab! Über die Autobahn erreicht man Foggia von Bari aus in gut eineinhalb Stunden. Damit ist man schon beim Hauptort der Region angekommen, aber dann geht es von Foggia aus über schmalere Straßen deutlich langsamer voran und so braucht man nochmal gut 2 Stunden bis Vico del Gargano. Unsere Ferienwohnung lässt uns in Begeisterung ausbrechen: am Rande der Altstadt gelegen und restauriert, erstreckt sie sich über die typischen 3 Stockwerke, wobei jeder Stock auch ein Zimmer bildet. Auf dem Dach gibt es eine Terrasse mit Liegestühlen und Ausblick auf den gegenüberliegenden Berg, auf dem sich Vögel die Kehle aus dem Leib singen und hinter uns drückt sich die Altstadt den anderen Hügel hinauf. Im Verlauf des Wochenendes räkeln sich abwechselnd graue oder schwarz-weiße Katzen auf den Treppenstufen, die hinauf in die „città vecchia“ führen. Manchmal kommen Hunde vorbei spaziert. Mit der Beseitigung von Essensresten gibt es jedenfalls kein Problem. Unsere Nachbarn haben dafür einen großen Aluminiumtopf aufgestellt, den wir ebenfalls benutzen. Daneben steht ein Wassertopf. Offensichtlich haben die Leute auf dem Gargano ein Herz für Vierbeiner.

Allerdings merkt man Vico an, dass der Gargano bei den Italienern eher die zweite Wahl ist. Der äußere Altstadtring ist zwar bewohnt und gut in Schuss, aber dringt man weiter ins Zentrum vor, fallen vor allem der Leerstand und Verfall auf. Wirklich schade, denn mit Altstädten wie Ostuni vor dem geistigen Auge, sieht man, was hier mit dem entsprechenden Geld und mehr Touristen entstehen könnte.

Vieste

Ganz anders in Vieste, das wir am nächsten Morgen besuchen. Zwar regnet es in Strömen als wir aufstehen und von irgendwoher kommen dazwischen so dichte Nebelschwaden, dass der uns gegenüber liegende Berg zweitweise verschwindet, aber wir bummeln ein bisschen herum, arbeiten schnell noch ein bisschen im Home-Office und als wir uns endlich über die Berge nach Vieste geschlängelt haben, kommt auch schon die Sonne raus. Es ist erst Mitte Mai und nichts los im hippen Badeort, aber die Altstadt erwacht gerade aus dem coronabedingt verlängerten Winterschlaf. Überall wird geputzt, justiert und sauber gemacht. Das historische Zentrum von Vieste erhebt sich auf einer Klippe direkt am Meer. Ganz oben steht ein Stauferschloss und davor ein kleines Häuschen für Straßenkatzen, das nicht das einzige in Vieste ist. Wieder erwärmt sich mein Herz ein bisschen mehr für den Gargano und seine Bevölkerung.

Am Sonntag müssen wir zurück nach Bari. Ich trinke meinen Morgentee unter einem kleinen Feigenbaum vor unserer Haustür auf einem Stein sitzend. Da hätte ich noch ewig sitzen können, mit all dem Grün vor Augen und dem Vogelsang… von irgendwoher klingen schon wieder Glöckchen herüber. Wahrscheinlich eine Ziegenherde. Ein Traktor tuckert vorbei. Ich bin tiefentspannt wie schon seit unserem Wochenende in Bovino nicht mehr. „Il Foggiano“ – die Region Foggia ist definitiv mein Favorit in Apulien. „Arm aber sexy“ – denke ich und fühle mich wie zu Hause. Unser fünfjähriger Sohn lässt sich an diesem Tag nur ins Auto verfrachten, als wir ihm versprechenen, dass wir im Herbst wiederkommen werden. Außerdem locke ich ihn mit Pudersand, denn wir wollen noch Rodi del Gargano in Augenschein nehmen.

Rodi del Gargano

Auch nach Rodi fährt man hauptsächlich des Badens und Flanierens wegen. Um Anzukommen durchquert man eine Region voller duftender Zitronen- und Orangenbäume, deren Früchte auch gleich vor der Haustür verkauft werden. Dann bewegt man sich auf einer Uferstraße auf Rodi zu und hat auch hier den Verdacht, die Stadt könnte sich von ihrem Felsen jede Minute ins Meer stürzen. Ein großer, gelber Sandstrand breitet sich wie ein Teppich zu Füßen der Altstadt aus und mein Sohn suhlt sich voll bekleidet in seinem geliebten Pudersand. Danach sammelt er Muscheln, bis die Tüte zu schwer zum Tragen wird. Ein paar Optimisten sind tatsächlich schon im Wasser, andere sonnen sich nur. Von Rodis Altstadt bekomme wir einen ähnlichen Eindruck wie in Vico. Aber es gibt hier wesentlich mehr, deutlich erkennbare B&Bs sowie mehr Farbe an den Wänden.

Schweren Herzens beenden wir unsere Flucht aus dem Alltag und machen uns auf die Heimreise, aber mit der Gewissheit, dass wir im September wieder auf dem Gargano sein werden. Es gibt hier noch so viel zu entdecken!

38 Gedanken zu „Flucht auf den Gargano

  1. afrikafrau

    Interessante malerische Rundreise und für euch Entspannung pur – So erhält man sich gesund- Vor vielen Jahren besuchte ich diese Gegend,liebe den Süden,die Menschen, das Essen, das Flanieren, und das Meer.Was du berichtest klingt doch positiv.

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    1. Corinna Autor

      Absolut. Es gibt natürlich auch in Apulien Schattenseiten. Gerade die Region um Foggia ist leider für die Ausbeutung von Emigranten bekannt, die dort sehr hart und für wenig Geld auf den Feldern schuften. Aber es gibt eben auch viele einfache, heimatverbundene und ihre Region liebende Einheimische, die sich total freuen, wenn sich jemand für ihr Stückchen Erde interessiert.

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        1. Corinna Autor

          Im Gegensatz zu Irland, darf man in Italien wieder einreisen. 😉 … neben dem Ausfüllen einer EU-Reiseerklärung musst du dich in Apulien im Moment theoretisch noch bei der Gesundheitsbehörde melden. Aber Anfang Juli kommt nicht nur der EU-Green Pass sondern bestimmt auch noch ein neues Dekret und Reisen normalisiert sich noch ein bisschen mehr. Daumen gedrückt! … wer will denn schon unbedingt ins kalte Irland!?!

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          1. B.

            Ich 😂…. heute habe ich auf den Nachrichten gehört, dass die EU sich auf Reiseerleichterungen geeinigt hat. Das wird wohl jeden Moment kommen. Zumindest vor den Sommerferien.
            Tja… ich muss dann wohl noch 5 Wochen warten.🙄

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                1. Corinna Autor

                  Das ist ja echt doof! Kann man denn da gar nichts machen? – Zum Beispiel auf nächstes Jahr verschieben und in diesem Jahr kurzfristig woanders hinfahren? Für das nächste Jahr besteht dann schon wieder mehr Hoffnung, dass die Situation normal wird.

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                    1. Corinna Autor

                      Oh, Mann! Dann verstehe ich dich gut!!! Ich kann’s kaum erwarten, meine Mama nach 2 Jahren endlich wiederzusehen. (Bleibt noch als Ausweichmöglichkeit: triff dich mit deinem Sohn in Apulien. Die berühmten zwei Fliegen.)

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                    2. B.

                      Er kommt dann aber nicht mehr in Irland rein. Immer noch 2 Wochen Zwangsquarantäne und nur essentielle Flüge erlaubt….ich glaube nicht, dass das wunderschöne Apulien dazu gehört……obwohl ;-))))
                      PS: dann drücke ich die Daumen, dass Du Deine Mama bald siehst.

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                    3. B.

                      Danke 😘….. aber die schlimmste Zeit ist um…. es sind ja nur noch Wochen.😉

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    1. Corinna Autor

      Ja, gern. … Und ich hoffe doch sehr, dass es klappt!!! Es wird dir dort sicher gefallen, aber ich hoffe, ihr müsst im August nicht zu sehr schwitzen.

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  2. Arno von Rosen

    In den 70ern habe ich drei mal im Gargano jeweils 6-8 Wochen Urlaub gemacht und alles was ich an Italienisch kann, stammt aus dieser Zeit. Damals gab es so weit südlich kaum Deutsche Touristen, was uns immer sehr gefiel 😉

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    1. Corinna Autor

      Das mit den deutschen Touristen hat sich geändert. Der Rest vielleicht gar nicht so sehr. Bestimmt hast du die Zeit dort sehr genossen. Das müssen ja die kompletten Sommerferien gewesen sein.

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      1. Arno von Rosen

        Mein Vater an an der Uni unterrichtet und von daher war es ihm egal, ob wir pünktlich zum Schulanfang anwesend waren oder eben nicht 😀 Ivh habe immer in der Hängematte geschlafen, weil mir der Wohnwagen zu stickig war und es waren die besten Ferien für Kinder überhaupt, weil wir machen konnten was wir wollten 🙂

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        1. Corinna Autor

          Der letzte Satz gilt zumindest für italienische Kinder hier immer noch. 😉 … und das mit der Hängematte glaube ich gern. Uns halten sommers nur die Mücken davon ab, draußen zu schlafen.

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    1. Corinna Autor

      Vielleicht hast du noch Gelegenheit, das mal nachzuholen. Matera ist wunderbar und kann gut mit einer Reise nach Apulien verbunden werden. 🙂

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  3. Friederike H.

    danke fürs Mitnehmen! Die Kussgasse gefällt mir.
    So schön der Gargano ist, ich bin doch eher Team Salento 😉
    lg

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  4. Ria

    Wie schön…..danke für den tollen (leider nur gedanklichen) Kurztrip🙂
    Bei eurem nächsten Besuch auf dem Gargano dürft ihr Monte Sant Angelo nicht vergessen. Für mich mein absoluter Seelenort….einfach nur wunderschön❣
    Ach, wie sehr ich Puglia vermisse….Wir hoffen, dass es im August klappt und Corona uns nicht erneut einen Strich durch die Rechnung macht.
    Liebe Grüße

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    1. Corinna Autor

      Ich bin für den August in Apulien aber zuversichtlich. Wir erwarten Anfang Juli weitere Lockerungen. Es heißt, es solle z.B. endlich die lästige Maskenpflicht im Freien abgeschafft werden. 🙂

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  5. gerlintpetrazamonesh

    das müßte so in etwa die Gegend sein, in der in finster – grauer Vorzeit der Schreckensigel herrschte. Doch, den gab’s. Ein Insektenfresser von ca. 10kg, kein freundlicher Geselle, es hat ihn aber – anders als möglicherweise die Zwergelefanten von Malta, die kamen viel, viel später, sicherlich kein Mensch gesehen.

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    1. Corinna Autor

      Vor vielen Jahrmillionen trampelten tatsächlich ein Haufen Dinos über apulischen Boden und es würde mich nicht wundern, wenn ein riesiger igelähnlicher dabei gewesen wäre. Leider sind die Apulier (noch) nicht in der Lage solche kuriosen Entdeckungen entsprechend zu nutzen. Wäre es Berlin, stünden an jeder Ecke bunt bemalte Riesenigel herum. So aber, findet man seine Überreste in Augsburg. 🙂

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      1. gerlintpetrazamonesh

        Deinogalerix war tatsächlich bereits ein moderner Plazentasäuger, kein Dino mehr, sondern, lange nach deren Zeit, ein Insektivore, ein ins überdimensionale vergrößerter Rattenigel. Ja, ich glaube gleich, dass die Apulier Probleme haben, so weit zurückzudenken (war ja auch keine Menschenseele dabei) – inmitten genug historischer Artefakte, die schon von genug alter, im Vergleich zur Prähistorie aber immer noch sehr junger Geschichte erzählen und gewiß die dortige Folklore vielfach befruchten. Und ob sie mit derlei Methoden noch mehr Touristen anlocken wollen? Da wird es verschiedene Meinungen dazu geben.

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          1. gerlintpetrazamonesh

            Nein, leider ist die Tierkunde (bei Pflanzen bin ich bereits nur, hm, mittelmäßig) nur ein Hobby geblieben. Ich kann gerne jederzeit aus dem Stegreif einen Vortrag über Hunde beginnen… Betone immer, dass ich nichts dafür kann, dass 2 meiner Kinder Biologie zum Beruf gemacht haben (Nr. 3 ist in der Medizin gelandet), aber man glaubt mir nicht… Das niedliche Ungeheuer kenne ich aber auch noch nicht lange.

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