10 Jahre in Apulien – Buon ComPuglianno 2022

Am 26. Juni vor 10 Jahren bin ich mit zwei Koffern in Bari aus dem Flugzeug gestiegen. Manchmal scheint mir das noch gar nicht so lange her zu sein und manchmal eine Ewigkeit zurückzuliegen. Merkwürdig, oder?

Zu Beginn sprach ich nur ein paar Brocken Italienisch. Doch inzwischen kann ich mich in den meisten Situation problemlos unterhalten und sogar scherzen. Nur wenn ich einen Tag in der Sprachschule verbracht und viel Englisch gesprochen habe, dann werfe ich abends alle drei Sprachen in einen Topf und heraus kommt Italo-Denglisch, gelegentlich sogar mit russischen Einschüben und/ oder kompletten Aussetzern. Dann fühle ich mich wieder hilflos und leicht dämlich wie am ersten Tag, was dazu beiträgt, dass ich als Sprachlehrerin immer großes Verständnis für meine Schüler aufbringe.

Ein kläglicher Rest Geburtstagstorte.

Luigi arbeitet seit ein paar Jahren nicht nur in seinem privaten Lohnbüro, sondern verwaltet nach einer harten Weiterbildung auch noch Mehrfamilienhäuser. Unser phantasievoller, kreativer und ausgeprochen launischer Sohn Davide ist sieben Jahre alt geworden. Er hat erfolgreich die erste Klasse beendet und schon für Streit und Tränen in seinem Harem gesorgt. Sein aktueller Plan ist Kaiser zu werden, Ginevra zu heiraten und die anderen Mädchen als Dienerinnen einzustellen; deren Brüder hingegen in sein Heer aufzunehmen und mit ihnen andere Kaiser um die Ecke zu bringen.

Friedrich 2 hat viele Kastelle in Apulien hinterlassen: u.a. Castel del Monte, Kastelle in Bari/ Otranto/ Trani

Schauen wir mal, wie sich das noch entwickelt, denn vor allem, wo er Kaiser zu werden beabsichtigt, ist noch nicht ganz klar. Vielleicht wird er irgendwann auf den Spuren Friedrichs des Zweiten wandeln. Dieser Deutsche war immerhin schon mal Kaiser in Apulien, wo er eine stattliche Anzahl von Kastellen hinterlassen hat.

Mein Leben in diesem wundervollen Teil Europas ist also immer strukturierter, kompletter und schöner geworden – so wie unsere gemeinsame Wohnung und die Terrasse, auf der ich sehr zur Verwunderung unserer Nachbarschaft gärtnere, als würde es weder Zeit noch Wasser kosten (und sich sommers Freunde bis tief in die Nacht festsetzen, als müsse man nicht irgendwann auch mal schlafen).

Terrassenansicht 2013 – 2022

Was ich an Deutschland vermisse? Ganz klar meine Familie und meine Freunde. In den letzten Jahren sind Menschen gestorben, die ich gern noch einmal gesprochen und gedrückt hätte. Durch die räumliche Distanz kommt es mir manchmal ganz unwirklich vor und, wenn ich an sie denke, brauche ich immer eine Mikrosekunde, bevor mir wieder bewusst wird, dass sie beim nächsten Deutschlandbesuch nicht da sein werden.

Deshalb freue ich mich immer auf unseren Augusturlaub bei meiner Familie und versuche, so viele Menschen wie möglich zu treffen. Auf der anderen Seite bin ich sehr dankbar dafür, dass ich wunderbare Menschen aus Luigis Familie richtig kennenlernen durfte, die heute leider nicht mehr leben. Wären wir in Deutschland geblieben, hätte es diese Chance nicht gegeben.

Abgesehen davon vermisse ich nur die Sicherheit, die ein Leben in Deutschland bietet – richtige und faire Arbeitsverträge mit Urlaubstagen und Schutz bei Krankheit, ein funktionierendes Gesundheitssystem, kurz: das beruhigende Gefühl, dass es immer eine Grundsicherung gibt. In Italien wurstelt man sich so durch und Kranksein kostet neben dem Verdienstausfall bei Freiberuflern auch bei allen anderen Leuten richtig Geld. Und auch wer nicht wenigstens teilweise schwarz arbeiten möchte, hat viele finanzielle Nachteile.

Was ich außerdem akzeptiert habe, aber mich trotzdem weiterhin stört, ist die süditalienische Unverbindlichkeit, mit welcher Unpünktlichkeit, Aufschiebungen und Absagen einhergehen. Dagegen kann man wenig tun, weil es eben die Schattenseite der Freundlichkeit und positiven Einstellung der Apulier ist. Man sagt lieber einmal mehr zu und justiert hinterher, als als unfreundlich zu gelten und gleich Bedenken anzumelden oder gar andere Termine auszumachen.

Einer der Vorteile von Apulien: das glasklare Meer vor der Haustür

Was ich mir für die nächsten 10 Jahre wünsche? Dass mehr Familie und Freunde mich in Apulien besuchen kommen. COVID hat das ziemlich verhindert und die Leute reisemüde gemacht. Beruflich kann es weitergehen wie bisher, denn meine Arbeit lässt sich gut mit dem Muttersein verbinden und ich denke, mein Sohn braucht noch viel Geduld, Kontrolle und Anleitung, bis er mal Kaiser wird.

Außerdem gibt es noch so viel zu sehen, über das ich auf diesem Blog berichten möchte, sodass mir der Stoff bestimmt auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen wird.

Meinen 10. selbst kreierten Apulienjahrestag „Compuglianno“ habe ich übrigens mit meinen italienischen Freunden, Luigis Eltern und meiner Mama gefeiert – und natürlich mit Pizza satt.

Angesichts meiner 10jährigen Erfahrung in Apulien…

3 apulische Highlights, die man gesehen haben muss:

Platz 1: Der Gargano – Strand, Berge, Wald, Schlösser und niedliche Altstädte

Platz 2: Lecce und der Salento

Platz 3: Matera – Nicht mehr Apulien, aber ganz dicht dran

3 persönliche Apulien-Highlights, die man gesehen haben sollte

Platz 1: Bovino – Einmal im Schloss wohnen und die Daunischen Berge genießen

Platz 2: Torre di Castiglione – Freies Herumkraxeln zwischen Ruinen

Platz 3: Torre Guaceto – Traumstrände zum Wandern und Baden

In diesem Sinne „Buon ComPuglianno“ a me und euch alles Gute aus Italien!

Corinna

33 Gedanken zu „10 Jahre in Apulien – Buon ComPuglianno 2022

  1. Genofeva Nachreiner

    Hallo Corinna ich lebe seit
    8 Jahren in der Campagne von Carovigno und bin exakt Deiner Meinung
    lese fleißig Deinen Blog
    pflege meinen Exotengarten und bin zufrieden
    Liebe Grüße

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    1. Corinna Autor

      Meine Güte, da sind wir ja quasi Nachbarn! Mit Carovigno verbinde ich auf jeden Fall einen Schlossbesuch und ganz viel Essen bei Vincenzo direkt neben der Statue von Padre Pio. 🙂

      Auf die Zufriedenheit! C.

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      1. Genofeva Nachreiner

        da ich ein Maulwurf bin , also fast ausschließlich mit meinem Garten beschäftigt und ganz wenig von meiner Wahlheimat weiß, lese ich so gerne Deine Einträge
        Salute Genofeva

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        1. Corinna Autor

          Maulwurf gefällt mir ausgesprochen gut. Das sieht bestimmt toll aus bei dir. Wenn du mal Lust auf eine Terrasse und ein Sightseing in Bari hast, dann melde dich ruhig mal bei mir. 🙂

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  2. Belana Hermine

    Es ist wundervoll, dass sich Dein Leben durch den Umzug so gut entwickelt hat. Das wünsche ich Dir auch weiterhin.
    Interessant finde ich, dass Du es als Auswanderung bezeichnest? Ist es „nur“, weil es halt aus Deutschland raus ging oder hat es eine tiefere Bedeutung?

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    1. Corinna Autor

      Hallo,

      vielen Dank für das lange Mitlesen, deine Kommentare hier und bei anderen Beiträgen und natürlich die guten Wünsche.

      Ich bezeichne meinen Umzug nach Italien als Auswanderung, weil ich mein Heimatland verlassen und meinen permanenten Wohnsitz in ein anderes Land verlegt habe. Ich denke, das nennt man „Auswanderung“. Weiter will es nichts heißen. 🙂

      Liebe Grüße
      Corinna

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      1. Belana Hermine

        Danke für Deine Antwort. Ich hatte nur gefragt, weil bei mir bei Auswanderung immer irgendwie mitklingt, dass man das Land verlassen will oder muss, dass es also irgendetwas gibt, das einen wegtreibt. Das hatte ich bei Dir aber nicht gelesen. Und deswegen musste ich dann einfach mal fragen.

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  3. Friederike H.

    Schön, wie sich alles bei euch in den 10 Jahren entwickelt hat!! Die 3 Apulien Highlights unterstreiche ich auch, zu meinen absoluten Lieblingsplätzen gehören dabei die Dolmen im Salento, die haben mich am meisten beeindruckt.
    Alles Gute weiterhin in Apulien!!
    lg

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  4. B.

    Es klingt so schön, dass Du angekommen bist. Alles hat wohl seine Vor- und Nachteile. Das weiß ich aus meiner eigener Auslandserfahrung. Herzlichen Glückwunsch zum 10 jährigen Jubiläum. Und ich freue mich über Deine Berichte der nächsten 10 Jahre. Liebe Grüße, Barbara
    PS: einer meiner Söhne wollte Papst und danach Präsident werden. Das hat sich gelegt.😂

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    1. Corinna Autor

      Auch sehr interessante Berufswünsche. Vor allem, weil es nur jeweils einen davon gibt. Zum Glück kommt bei uns auch noch Roboterkonstrukteur in Frage. Und das könnte sogar funktionieren, denn immerhin kommt er aus einer Mechanikerfamilie. 😉 Was ist denn dein Sohn stattdessen geworden?

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      1. B.

        Roboterkonstrukteur klingt auch verdammt gut.👌

        Ein international tätiger IT Manager. Und davon gibt es viele.😂

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  5. Anke

    Ciao Corinna, da bist du fast noch ein „Principiante“, nach zehn Jahren. 😉 Ich habe erst nach zwanzig angefangen, darüber nachzudenken, wie lange das ist. Auch im Verhältnis zum Leben davor, insbesondere den „nur“ 17 Jahren in der DDR.
    Schön, dass es sich für dich trotz der Sehnsucht nach lieben Menschen in Deutschland (wie gut ich das nachvollziehen kann) doch richtig anfühlt und du dich heimisch fühlst. Complimenti für die herrliche Terrassenbepflanzung! Saluti aus dem Norden!

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    1. Corinna Autor

      Ich kann leider mit nur 12 Jahren DDR aufwarten. Es waren nicht die schlechtesten, aber das Leben damals kommt mir nun wirklich nur noch wie ein Traum oder ein alter Film vor. Aber ich glaube, dass dieser Umbruch vielleicht dazu beigetragen hat, dass es mir heute nicht so wichtig ist, in Deutschland zu leben. Ich fühle mich als Brandenburgerin und danach gleich als Europäerin. Dieses Deutschland ist gar nicht richtig mein Land. Ich hänge an Personen und den Orten meiner Kindheit/ Jugend. Dabei existieren die Orte inzwischen auch mehr in meinem Kopf als in der Realität. Schon nach 9 Jahren Italien habe ich einen Weg im heimischen Wald nicht mehr gefunden, den ich immer gegangen war, seit ich denken kann. Alles verändert sich. Nur in meiner Erinnerung bleibt es gleich. … und wenn man dann einmal im Jahr „nach Hause“ kommt, kann man nur noch staunen…

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      1. Anke

        Deine Gefühle kann ich gut nachvollziehen, es geht mir ähnlich. „Unser“ Land, also die alte Heimat, gibt es so nicht mehr. Der Ort meiner Kindheit und Jugend hat sich auch sehr verändert, wenn ich da alle Jubeljahre mal als Tourist hinkomme bzw. alte Freunde besuche, stellte ich das schon vor Jahren mit Bedauern fest. So viele Orte, Gebäude, gibt es nicht mehr oder sind komplett verfallen oder zur Unkenntlichkeit renoviert. Genau, es sind die Menschen, die mich noch mit Deutschland verbinden. Und die Sprache. Das Denken und Fühlen hat sich im Ausland lebend schon sehr gewandelt. Vom Fremdeln schrieb ich letzten Sommer im Blog, im Kleinen, Alltäglichen, aber vielleicht mehr noch im Gesamtgesellschaftlichen, Politischen. Aber da haben wir ja hier auch den Vogel abgeschossen, wie man gerade wieder erleben muss, es ist zum Heulen. Lass uns unsere Familie und Freunde feiern, hier und dort, die sind die Heimat!

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  6. Anna C.

    Liebe Corinna herzliche Glückwünsche zum Apulien-Jubiläum – und deine Gedanken zu dem was sich in D gut anfühlt die tun auch gut, es wird ja hier im Lande oft sehr laut gejammert. Dir und deiner Familie alles Gute auf dem Weg zum Kaiser

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  7. M F

    Liebe Corinna, ComPuglianno, dieses wunderschöne Wort habe ich einfach mal für uns übernommen, denn auch wir, mein Mann und ich, leben jetzt seit genau 1 Jahr dauerhaft in Oria. Deinen Blog verfolge ich schon sehr lange: complimenti! Wir haben schon einiges kennengelernt, was uns vielleicht ohne deine Tips durch die Lappen gegangen wäre. Danke dafür! Ich freue mich auf viele weitere Anregungen und wünsche dir und deiner Familie alles Gute!!

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    1. Corinna Autor

      Hallo, liebe Apulienliebende! Ich freue mich über das schöne Kompliment und hoffe, ihr werdet noch viele Jahre zufrieden in Oria leben. Vor mehr als 20 Jahren habe ich bei meinem ersten Besuch in Apulien das Schloss in Oria besucht und sehr gute Erinnerungen daran. 🙂 (Eigentlich könnten wir auch mit Davide mal dorthin fahren.) Liebe Grüße aus Triggiano! C.

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