Pulsano ≠ Pulsano

„Wie?“, frage Luigi mich an unserem letzten Urlaubsabend in Monte Sant’Angelo ungläubig. „Nach Pulsano willst du morgen auch noch fahren?!“ Er dachte an unseren tollen Strandurlaub in der Nähe von Tarent im September. Zufällig hieß dieser Flecken auch Pulsano. Aber da ich für die geringe Kreativität bei der Namenswahl der apulischen Orte nichts kann, gibt es nun schon zwei Pulsanos in Bella Puglia, die es uns angetan haben und in die man getrost mehrmals fahren kann. Immerhin liegen sie mehr als 250 km voneinander entfernt. Luigi war wieder beruhigt.
„Den Zaun bitte schließen. Wilde Kühe!“
Von Monte Sant’Angelo aus fährt man tatsächlich nur 12 Kilometer auf einer ordentlichen, aber schmalen Straße an einem Berghang entlang und erreicht an deren Ende das Eingangstor zur Abtei „Santa Maria di Pulsano“.
Ein Schild weist darauf hin, dass man das Tor bitte selbstständig aufschieben und nach der Durchfahrt auch wieder schließen solle. Wegen der wilden Kühe. Wir wollen nicht Schuld daran sein, dass die armen Mönche von riesigen Gargano-Kühen niedergetrampelt werden und halten uns an die Anweisungen.
Hinter dem Zaun folgt man der Straße noch ca. 50 Meter und kann dann links auf zwei weitläufigen Plätzen parken. Hier schauen freundliche Maultiere und weniger wilde Kühe über den Maschendrahtzaun und lassen sich gern von Besuchern streicheln. Mit hocherhobenem Schwanz und neugierigem Blick kommt eine gut genährte Abteikatze gelaufen.
Für meinen Sohn hat sich der Ausflug bereits gelohnt.
Ungeniertes Wandeln zwischen mittelalterlichen Mauern
Nur weil wir ein anderes berucksacktes Pärchen durch ein Gartentor gehen sehen, finden wir den Mut, das Gelände weiter zu erkunden. Es ist irgendwie merkwürdig, dass man in einer historischen Stätte aus dem 6. Jahrhundert so ganz ungehindert herumspazieren kann. Einen Mönch oder sonst irgendwie verantwortlich aussehenden Menschen finden wir nirgends. Auch nicht in den Räumen der Abtei, deren Türen weit geöffnet sind und zum Eintreten einladen.






Dabei hat die Abtei wie sie heute hier steht, bereits unter Erdbeben gelitten. Das letzte liegt nur knapp 30 Jahre zurück. Aufgrund dieser Widrigkeiten und des lockeren Umgangs der Apulier mit ihrem historischen Erbe lassen sich nicht mehr alle Spuren der Vergangenheit finden. Man vermutet jedoch, dass sich an der Stelle der Abtei bereits eine heidnische Kultstätte befunden haben soll, die im Laufe der Jahrhunderte mit mehreren Schichten Klostersiedlung überbaut wurde. Heute gilt die Abtei als Beispiel apulischer Romanik. Die Weihnachtskrippe mit einem murmelnden Wasserlauf in einem der Höhlenzimmer ruft bei Davide Staunen hervor, scheint aber vielleicht auch wegen der Wärme fehl am Platz. Hinter einem mit roten Herbstlaub dekorierten Bogentor schließen sich ein Gang, Klosterzellen und Innenhöfe an. Dann gelangt man in die Kirche, welche in einer Höhle endet.
Wie Schwalbennester am Felsen – Die Einsiedeleien
Die karstigen Felsen des Gargano mit ihren zahlreichen Höhlen boten über Jahrhunderte nicht nur Unterschlupf, sondern waren auch oft kultische Orte. Davon zeugen die Ursprünge der Abtei genauso wie die Grottenkirche des heiligen Michael in Monte Sant’Angelo. In der Nähe der Abtei schmiegen sich dazu noch die Höhlenwohnungen der Eremiten an den Felsen. An der steilen Wand der Talseite bestehen sie oft aus einfachen Höhlen mit vorgebauten Wänden. Andere Einsiedeleien stehen als Häuschen auf steilen Klippen, bei denen man sich fragt, wie die Eremiten oder ihre Nahrungsmittel dort dereinst hingelangt sein könnten. Trotz der unwirtlichen Lage gab es auch Höhlenwohnungen, die für Zusammenkünfte genutzt wurden. Eine diente sogar nachweislich als Mühle. Über verschiedene Wanderwege mit unterschiedlichen Längen und Schwierigkeitsgraden sind die Einsiedeleien heute noch zu erreichen (weitere Infos hier (Eremi – Abbazia di Pulsano ). Ein Raum der Abtei zeigt eine Ausstellung mit Fotos dieser Einsiedeleien und macht die Besucher neugierig.
Neugierig auf Nicolas Wohnhöhle – 30 lange Minuten am Berg
Da wir aus Bari kommen, wo der Heilige Nikolaus mindestens im Mai mehr Aufmerksamkeit genießt als jeder aktuelle Popstar, entschließen wir uns, die nach ihm benannte Einsiedelei Nr. 16, „San Nicola di Mira“ anzusehen Sie wird gleich vor der Abtei mit nur 30 min Fußweg ausgewiesen (insges. für Hin- und Rückweg). Luigi meldet zwar Zweifel an, da ein Schwierigkeitsgrad „zwei von drei“ kein wirklicher Spaziergang sein würde, aber Davide und ich sind begeistert und kraxeln auf einem Geröllweg den Berg hinunter.
Ein bisschen mulmig wird mir dann schon, als wir uns kurz darauf an Stahlseilen und in den Felsen getriebenen Metallgriffen festhalten müssen. Immer noch begeisterter O-Ton Filius: „Mama, schau mal, hier kann man ganz tief runter gucken!“ Ja, tatsächlich. Außerdem kann man, wenn man auf 300m antiken Saumpfads und in den Felsen gehauener Stufen erzieherisch tätig wird, als Elternteil auch mal ziemlich hysterisch klingen.





Es ist nicht ganz klar, ob wir vor Angst oder Anstrengung schwitzen oder einfach nur, weil der 31. Oktober 2022 um die Mittagszeit noch 30 Grad bietet. Aber wir schaffen es und stehen schließlich in einer Drei-Zimmerchen-Wohnung, deren Decke teilweise eingefallen ist. Ein Fresko ist noch zu erkennen, Einkerbungen in der Wand wie für Regalbretter oder ein Schlafbrett und im Frühling wird die Höhlenwohnung von Vögeln als Brutstätte genutzt. Der Rückweg ist erneut eine schweißtreibende Angelegenheit. Wir hätten nur T-Shirts anziehen sollen. Zum Glück haben wir genug Wasser dabei. Ein Grüppchen älterer Damen sieht uns den Berg hinauf geschnauft kommen und kehrt spontan um. Sie lassen sich stattdessen von Luigi berichten, was es mit der Wohnung „Nicolas“ auf sich hat.
Wir suchen noch die Besuchertoilette auf (Ja, es gibt -Gott sei Dank! – sogar eine Besuchertoilette.) und lassen ein bisschen mehr Geld im dort aufgehängten Klingelkasten, als für einen Toilettenbesuch üblich ist. Schließlich wollen wir unser Scherflein zur Erhaltung der „Abbazia Santa Maria di Pulsano“ beitragen. Sie ist ein ganz besonderes Ausflugsziel und unbedingt zu empfehlen!
Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass wir noch einmal zurückkommen und eine andere Eremitenwohnung aufsuchen werden – „Eremo il Munlino“ beispielsweise, die laut Beschreibung an einem „furchterregenden Abgrund“ liege. Wenn das nicht nach Abenteuer klingt!
Über eine langweilige Kindheit wird Davide sich später nicht beklagen können! Ein interessanter Ausflug, liebe Corinna! Danke für den tollen Bericht!
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Fein, deinen Bericht erneut zu goutieren, schöne Bilder auch 🍁
LG vom Lu
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