Am 26. Juni vor 10 Jahren bin ich mit zwei Koffern in Bari aus dem Flugzeug gestiegen. Manchmal scheint mir das noch gar nicht so lange her zu sein und manchmal eine Ewigkeit zurückzuliegen. Merkwürdig, oder?
Zu Beginn sprach ich nur ein paar Brocken Italienisch. Doch inzwischen kann ich mich in den meisten Situation problemlos unterhalten und sogar scherzen. Nur wenn ich einen Tag in der Sprachschule verbracht und viel Englisch gesprochen habe, dann werfe ich abends alle drei Sprachen in einen Topf und heraus kommt Italo-Denglisch, gelegentlich sogar mit russischen Einschüben und/ oder kompletten Aussetzern. Dann fühle ich mich wieder hilflos und leicht dämlich wie am ersten Tag, was dazu beiträgt, dass ich als Sprachlehrerin immer großes Verständnis für meine Schüler aufbringe.
Luigi arbeitet seit ein paar Jahren nicht nur in seinem privaten Lohnbüro, sondern verwaltet nach einer harten Weiterbildung auch noch Mehrfamilienhäuser. Unser phantasievoller, kreativer und ausgeprochen launischer Sohn Davide ist sieben Jahre alt geworden. Er hat erfolgreich die erste Klasse beendet und schon für Streit und Tränen in seinem Harem gesorgt. Sein aktueller Plan ist Kaiser zu werden, Ginevra zu heiraten und die anderen Mädchen als Dienerinnen einzustellen; deren Brüder hingegen in sein Heer aufzunehmen und mit ihnen andere Kaiser um die Ecke zu bringen.

Schauen wir mal, wie sich das noch entwickelt, denn vor allem, wo er Kaiser zu werden beabsichtigt, ist noch nicht ganz klar. Vielleicht wird er irgendwann auf den Spuren Friedrichs des Zweiten wandeln. Dieser Deutsche war immerhin schon mal Kaiser in Apulien, wo er eine stattliche Anzahl von Kastellen hinterlassen hat.
Mein Leben in diesem wundervollen Teil Europas ist also immer strukturierter, kompletter und schöner geworden – so wie unsere gemeinsame Wohnung und die Terrasse, auf der ich sehr zur Verwunderung unserer Nachbarschaft gärtnere, als würde es weder Zeit noch Wasser kosten (und sich sommers Freunde bis tief in die Nacht festsetzen, als müsse man nicht irgendwann auch mal schlafen).
Was ich an Deutschland vermisse? Ganz klar meine Familie und meine Freunde. In den letzten Jahren sind Menschen gestorben, die ich gern noch einmal gesprochen und gedrückt hätte. Durch die räumliche Distanz kommt es mir manchmal ganz unwirklich vor und, wenn ich an sie denke, brauche ich immer eine Mikrosekunde, bevor mir wieder bewusst wird, dass sie beim nächsten Deutschlandbesuch nicht da sein werden.
Deshalb freue ich mich immer auf unseren Augusturlaub bei meiner Familie und versuche, so viele Menschen wie möglich zu treffen. Auf der anderen Seite bin ich sehr dankbar dafür, dass ich wunderbare Menschen aus Luigis Familie richtig kennenlernen durfte, die heute leider nicht mehr leben. Wären wir in Deutschland geblieben, hätte es diese Chance nicht gegeben.
Abgesehen davon vermisse ich nur die Sicherheit, die ein Leben in Deutschland bietet – richtige und faire Arbeitsverträge mit Urlaubstagen und Schutz bei Krankheit, ein funktionierendes Gesundheitssystem, kurz: das beruhigende Gefühl, dass es immer eine Grundsicherung gibt. In Italien wurstelt man sich so durch und Kranksein kostet neben dem Verdienstausfall bei Freiberuflern auch bei allen anderen Leuten richtig Geld. Und auch wer nicht wenigstens teilweise schwarz arbeiten möchte, hat viele finanzielle Nachteile.
Was ich außerdem akzeptiert habe, aber mich trotzdem weiterhin stört, ist die süditalienische Unverbindlichkeit, mit welcher Unpünktlichkeit, Aufschiebungen und Absagen einhergehen. Dagegen kann man wenig tun, weil es eben die Schattenseite der Freundlichkeit und positiven Einstellung der Apulier ist. Man sagt lieber einmal mehr zu und justiert hinterher, als als unfreundlich zu gelten und gleich Bedenken anzumelden oder gar andere Termine auszumachen.

Was ich mir für die nächsten 10 Jahre wünsche? Dass mehr Familie und Freunde mich in Apulien besuchen kommen. COVID hat das ziemlich verhindert und die Leute reisemüde gemacht. Beruflich kann es weitergehen wie bisher, denn meine Arbeit lässt sich gut mit dem Muttersein verbinden und ich denke, mein Sohn braucht noch viel Geduld, Kontrolle und Anleitung, bis er mal Kaiser wird.
Außerdem gibt es noch so viel zu sehen, über das ich auf diesem Blog berichten möchte, sodass mir der Stoff bestimmt auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen wird.
Meinen 10. selbst kreierten Apulienjahrestag „Compuglianno“ habe ich übrigens mit meinen italienischen Freunden, Luigis Eltern und meiner Mama gefeiert – und natürlich mit Pizza satt.
Angesichts meiner 10jährigen Erfahrung in Apulien…
…3 apulische Highlights, die man gesehen haben muss:
Platz 1: Der Gargano – Strand, Berge, Wald, Schlösser und niedliche Altstädte
Platz 2: Lecce und der Salento
Platz 3: Matera – Nicht mehr Apulien, aber ganz dicht dran
…3 persönliche Apulien-Highlights, die man gesehen haben sollte
Platz 1: Bovino – Einmal im Schloss wohnen und die Daunischen Berge genießen
Platz 2: Torre di Castiglione – Freies Herumkraxeln zwischen Ruinen
Platz 3: Torre Guaceto – Traumstrände zum Wandern und Baden
In diesem Sinne „Buon ComPuglianno“ a me und euch alles Gute aus Italien!
Corinna