Schlagwort-Archive: Musikfestival San Remo

Schneeketten in Triggiano, Bunga-Bunga im Vatikan und Schifezze in San Remo – ein Wochenrückblick

„Mit“ statt „Ohne“ – Fastenzeit 2013 

“Was machst du denn den ganzen Tag?”, fragt meine Oma mich am Freitagmorgen am Telefon. Gute Frage und gar nicht so einfach zu beantworten. Als Sozialschmarotzer macht man eigentlich nichts und trotzdem bin ich den ganzen Tag beschäftigt. Langsam beginne ich zu verstehen, warum sich deutsche Dauerhartzis nicht zu Tode langweilen, wovon ich irrtümlich in meinem früheren Leben als verantwortungsvolle Abteilungsleiterin sowie eigenheimverwöhnte Gartenverantwortliche ausgegangen bin. Statt also wie in den letzten Jahren erkältungszeitbedingte Überstunden zu schrubben und zu überlegen, wann ich Zeit zum Verschneiden der Obstbäume finden werde, nutze ich die Stunde vor dem Mittagessen, um angeregte von „Frau Schreibblockades“ Fastenzeitaktion „7 Wochen MIT“ eine alte Gewohnheit wieder aufzunehmen und täglich einen Spaziergang durch Triggiano zu machen.

Schneeketten

IMG_20130217_151003Nach dem gestrigen Regentag, der die schlechten Straßen in Flüsse und die Fußwege in glitschige Schlitterbahnen verwandelt hatte, kämpft sich heute den ganzen Vormittag immer wieder eine strahlende Sonne durch die Wolkendecke. Daniele vom KFZ-Zubehörladen in unserem Häuserblock steht auf einer wackeligenIMG_20130217_133938 Leiter und befestigt ein gelbes Werbebanner über seiner 
Ladenfront. Darauf steht viersprachig in grünen Lettern „Schneeketten“ geschrieben. Der Optimist! Ich bin gespannt, ob ich in diesem Winter noch Schnee sehen werde. Doch die Straßen sehen auch winterlos inzwischen genauso schlimm aus, als hätten sie eine mehrmonatige Frostperiode mit minus 25 Grad durchgestanden.

 

Familienbande

Auf der Hauptstraße, dem Corso Vittorio Emanuele, herrscht rege Betriebsamkeit. Da gegen dreizehn Uhr Mittag gegessen wird, sind die Hauptverkehrsadern praktisch verstopft. Die meisten Süditaliener machen über Mittag zwei bis drei Stunden Pause. Sie fahren nach Hause, essen und machen ein Nickerchen. Gegen fünf werden die Läden wieder geöffnet und das öffentliche Leben nimmt bis 21 Uhr seinen Lauf.

Nach einem halben Jahr Dauergastsein muss ich mich nicht mehr völlig den strengen Regeln von Marias Gastfreundschaft unterwerfen. Das bedeutet zwar trotzdem, dass ich ungefähr das Doppelte von allem zu essen bekomme wie Luigi, aber auch dass ich durchaus gelegentlich den Besen schwingen oder die Wäsche von der Leine nehmen darf. Sie droht mir auch keine Prügel mehr an, wenn ich in Windeseile das Frühstücksgeschirr beseitige, sobald sie zum Einkaufen ausgegangen ist. Wir haben also mehrere stillschweigende Übereinkünfte geschlossen. Wenn sie jedoch ab 11 Uhr mit dem Mittagessen beschäftigt ist, verwandelt sich die Küche in ein Schlachtfeld, das von niemandem mehr betreten werden darf, bis die Teller aufgehört haben zu klappern.

Triggiano Piazza di Comune, Corso Vittorio EmanueleVermutlich werfen alle Frauen von Triggiano ihre Männer um diese Zeit aus dem Haus, denn man sieht sie in Grüppchen an Straßenecken und vor dem Rentnerkartenspielclub schwatzen. Auch auf den gemauerten und gefliesten Bänken auf der Piazza di Comune diskutieren sie lautstark und halten ihre Nasen in die Sonne. Die wenigen Frauen, die mir begegnen, eilen mit Einkaufstüten die Straße entlang. Eine Mutter zieht ihr Kind hinter sich her, das sie wahrscheinlich gerade aus seiner Betreuungseinrichtung abgeholt hat. Die meisten Kindergärten haben nur vormittags geöffnet. Um ihr Kind in einer Schule unterbringen zu können, die bis 16 Uhr geöffnet hat, musste Luigis Cousine ihre Tochter in Bari einschulen. Doch in Süditalien sind die Familiestrukturen noch intakt. Während die jungen Mütter arbeiten gehen, kochen die Omas für die ganze Sippe das Mittagessen und passen nachmittags auf die Enkelkinder auf.

Rücktrittsskandal und Musikfestival

Worüber man aktuell auf der Pizza diskutiert, ist leicht herauszuhören. Der Rücktritt des Papstes hat für mehr Aufruhr gesorgt als die anstehenden Wahlen. Auch an unserem Esstisch wurde darüber spekuliert, welche Intrigen im Vatikan stattgefunden haben könnten, die den Papst zum Rückzug gezwungen haben. Meine persönliche Theorie ist die folgende und basiert auf der Beobachtung, dass die Männer, sobald sie Papst geworden sind, in jedem Jahr um gefühlte zehn Jahre altern. Schon nach wenigen Jahren Amtszeit sind sie schlohweiß und können tief gebeugt gerade noch einmal pro Woche am Sonntag ihren zitterigen Arm heben, um ein Kreuz anzudeuten. Ratzinger hat das nach acht Jahren nun endlich erkannt. Deshalb flieht er aus der vatikanischen Raum-Zeit-Anomalie, um nicht schon in ein/ zwei Jahren die biblische Theorie des Jenseits überprüfen zu müssen. Für mich ist das absolut nachvollziehbar.

Berlusconi PapaIch finde, dass Berlusconi sich um das frei werdende Amt bewerben sollte. Ein paar Bunga-Bunga-Partys würden diesem drögen Männerhaufen bestimmt gut tun. Als Papst hätte Berlusconi dann sicher auch die nötigen finanziellen Mittel, um den Italienern wie kürzlich im Wahlkampf versprochen, die Steuern auf ihre erste Behausung zurückzuerstatten. Wahrscheinlicher wäre jedoch, dass er sich wie Dagobert Duck in die Geldkammer des Vatikans begäbe und jeden Tag ein Goldbad nähme, bis ihn ein Herzinfarkt dahinraffte oder er an einer Münze erstickte.

Allerdings hat „Papa Ratzi“ eine günstige Stunde gewählt, um abzutreten, denn das zweite Großereignis der vergangenen Woche, das seinen Rücktrittsskandal massiv überschattet, ist das Festival des italienischen Liedes in San Remo. „La più schiffosa cosa che ho mai visto! Veramente una porcheria!” – “Die ekelhafteste Sache, die ich je gesehen habe. Wahrlich eine Sauerei!” (O-Ton Maria nach nur täglich zehn Minuten der Liveübetragung an zwei von insgesamt vier Festivalabenden). Da sich Luigis sämtliche Verwandte entweder bisher schlicht geweigert haben, sich das Ereignis im Fernsehen anzusehen oder, wenn sie es getan haben, sich darüber beschwerten, wie monoton der Moderator, wie ungelenk, schlecht angezogen und schrillstimmig die Moderatorin, wie unsinnig die Texte und unbegabt die Sänger gewesen seien, habe ich persönlich den Eindruck gewonnen, dass sich dieser Wettbewerb in seiner bestehenden Form ungefähr so überlebt hat wie der Eurovision Song Contest.

Schade, denn ich mag den Song „La prima volta (che sono morto)“ („Das erste Mal, das ich gestorben bin“) von Simone Christicchi. Der stimmliche Vergleich mit Max Raabe hinkt sicherlich, aber sie haben die Reminiszenz an die Musik der großen Entertainer und eine gewisse Verschmitztheit im Text gemeinsam. Auch der Song „La canzone mononota“ („Das einnotige Lied“) von Elio e le Storie Tese zeigt musikalische Handwerkskunst und ein ironisches Augenzwinkern, wenn der Sänger dem Publikum singend erklärt, wie ein monotones Lied abwechslungsreich gestaltet werden kann. Doch was kann man Besänftigendes entgegnen, wenn die Nachkriegsgeneration das italienische Fernsehen im Hinblick auf ihre Fernsehgebühren und die Verwendung der Mittel für Musiksendungen verdammt, auch wenn zwischen sechs und 13 Millionen italienischer Zuschauer diese durchaus sehen wollen? Richtig. Nichts. Man geht einfach spazieren.

Altstadtimpressionen

triggiano2Wie schnell doch die Zeit bei so einem Spaziergang vergeht! Schon stehe ich mitten in der Altstadt von Triggiano. Ich liebe sie aus genau den gleichen Gründen, aus denen Luigi sie abschreckend findet. In den engen Straßen können kaum zwei Autos aneinander vorbei fahren. Daher sind die meisten von ihnen Einbahnstraßen; manche Gassen sind so eng, dass man sie nur mit Motorrollern befahren kann. Ich nehme die einzige frisch restaurierte Straße der Altstadt unter die Füße. In ihren Bordsteinen sind kleine runde Lampen installiert worden, die ab Sonnenuntergang diffuses Licht auf die Fahrbahn werfen. Von den Häusern bröckelt jedoch an vielen Stellen demonstrativ der Putz auf den neuen Gehweg, als wolle er den unnatürlich ordentlichen Eindruck wieder korrigieren.

Die Altstadthäuser sind dreistöckig gebaut. Meist ist ein Stock auch ein Raum. Die mit Gardinen verhängten, häufig weit geöffneten Eingangstüren geben bei jedem Windstoß unfreiwillig den Blick auf einen häufig fensterlosen Raum im Paterre frei, in dem sich das Tagesgeschehen abspielt. Auch hier hört man jetzt das Klappern von Kochtöpfen und Geschirr der italienischen Mammas oder Nonninas, während sich Jugendliche auf dem Fußweg lagern und mit ihren Handys spielen. Auf einem kleinen gepflasterten Platz, den die Einwohner mit Pflanztrögen gesäumt haben, um die sie sich in Eigeninitiative kümmern, toben ein paar Jungen mit ihrem Fußball. Zwei rundliche Omas mit vorgebundener Schürze unterhalten sich lautstark im Dialekt.Vielleicht erzählen sie sich gegenseitig, was es bei ihnen an diesem Tag zum Mittag geben wird. In der Altstadt ist man nie unbeobachtet. Die Nachbarn hören und sehen sowieso alles. Da kann man es ihnen auch gleich freiwillig erzählen. Natürlich falle ich auf. Doch statt mich misstrauisch zu beäugen, werde ich von wildfremden Menschen freundlich gegrüßt.

Kontraste

Als ich die Altstadt verlasse, stehe ich sofort wieder auf einer der Hauptverkehrsadern von Triggiano. Motorenlärm und Hupgeräusche dröhnen mir in den Ohren. Ich bin froh, als ich unseren Wohnblock erreicht habe, denn der Lärm der Stadt macht mich immer noch nervös. Daniele hat inzwischen zusätzlich zu seinem gelben Werbebanner einen Din A4-Ausdruck in seinem Schaufenster angebracht: „Schneeketten ab 35 Euro“. Mal sehen, ob ich mich irgendwann traue, ihn danach zu fragen, wie viele er tatsächlich verkauft hat.