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„Santuario di Padre Pio“ in San Giovanni Rotondo

Von Glauben und Architektur

Das pittoreske Städtchen Monte Sant’Angelo, welches wir Ende Oktober besuchten, hat mit seiner Grottenkirche des Heilgen Sankt Michael eine der ältesten und laut National Geopgraphic auch einen der spirituellsten Orte der Welt vorzuweisen.

Da passt es, dass sich nur 30 Autominuten von dieser historischen Stätte entfernt mit dem Städtchen San Giovanni Rotondo schon die nächste Sehenswürdigkeit befindet. Hier gibt es nämlich eine der modernsten Kirchen der Welt mit einer Art Mausoleum für einen Heiligen aus unserer Zeit – dem in Apulien mindestens in Statuenform überall gegenwärtigen Padre Pio (1887-1968). Es dauerte jedoch mehrere Gargano-Besuche bis ich Luigi davon überzeugen konnte, mit mir einen der wichtigsten europäischen Pilgerorte zu besuchen. Da half auch der stete Hinweis auf kulturelle Weiterbildung und die Baukunst des italienischen Star-Architekten Renzo Piano nichts. Zu überlaufen, zu kitschig, zu hässlich – ein katholisch erzogener Apulier dem Padre Pio egal ist (und der keinen Wein trinkt)… . Na, ja! Zum Glück hat er jetzt mich. Nachdem ich ihn Ende Oktober schon zum erfolglosen Kastaniensammeln in den Foresta Umbra verschleppt habe, ist er so erschöpft, dass er nicht protestiert, als ich verkünde, dass wir nun auch direkt zum „Santuario di Padre Pio“ fahren könnten, wo wir schon so nah dran wären. Es gibt keinen Protest. Also geht es nach San Giovanni Rotondo.

Tatsächlich kann das Städtchen auch eine typisch bewohnte Altstadt mit zahlreichen kleinen Kirchlein vorweisen, aber wer nach San Giovanni kommt, will vor allem eins: Padre Pio sehen – den apulischen Popstar unter den Priestern oder was nach seiner Exhumierung und Verbringung in der Unterkirche des modernen Heiligtums von ihm übrig ist.

Wer war Padre Pio?

Auf den üblichen Heiligenbildchen sieht er aus wie der milde lächelnde, jüngere Bruder des Weihnachtsmanns in einer braunen Kutte… daher vielleicht eher Knecht Ruprecht. Genauso sieht man ihn auch oft als Staute auf öffentlichen Plätzen.

1887 wird Padre Pio als Francesco vermutlich noch bartlos und als achtes Kind einer Bauernfamilie in Kampanien geboren. Das Ordensleben scheint eine willkommene Alternative für Bauernkindern aus Großfamilien gewesen zu sein, denn eine seiner Schwestern wird Nonne. Er selbst tritt mit 16 Jahren dem Kapuzinerorden bei und wird mit 23 zum Priester geweiht. 1916 kommt er nach San Giovanni Rotondo, wo er sein restliches Leben verbringt und 1968 stirbt. Zu seiner Beerdigung kommen 100.000 Menschen in den kleinen Ort im Gargano, derart groß ist die Popularität des Priesters inzwischen geworden.

Die Geister, die ich rief… oder Warum ist Padre Pio so populär?

Dazu muss man sich vorstellen, dass Süditalien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwiegend von einfachen Bauernfamilien besiedelt wurde. Die Alphabetisierungsrate war gering und der Ortsgeistliche eine der wenigen Personen, die Lesen und Schreiben konnten und Bildung genossen hatten. Was er vermittelte, waren die Geschichten der Bibel, die den Menschen das Leben erklärten und Regeln mitgaben. In kleinen, abgelegenen Orten Apuliens und Kampaniens (und nicht nur dort) ist der Priester bis heute Anlaufpunkt bei der Klärung wichtiger Lebensfragen, sowie Mentor bei persönlichen Problemen und beteiligt bei der Mitbestimmung in den Familien der Gemeinde.

Auf diesen fruchtbaren Nährboden des Vertrauens und der Arglosigleit fallen die angeblichen Stigmata, welche Padre Pio eines Tages an seinem Körper erscheinen – die selben Wunden, die Jesus am Kreuz davon getragen haben soll. Damit stellt er sich nicht nur auf eine Stufe mit Gottes Sohn, sondern auch anderer Heiliger vor ihm. Obwohl die katholische Kirche lange Zeit gegen den sich entwickelnden Kult um Padre Pio vorzugehen versucht und eine starke Indizienkette darauf hinweist, dass die Stigmata mit Hilfe von chemischen Substanzen entstanden sein könnten, müssen sie sich seiner Popularität geschlagen geben. Alle Repressalien führen nur dazu, dass die Menschen umso begeisterter in seine Kirche strömen.

Schon zu seinen Lebzeiten bietet Pios Kirche nicht mehr genug Platz für alle Gläubige. Viele kommen von weit her, um den charismatischen Mann, der seine Stigmata meistens unter fingerlosen Handschuhen verbirgt, zu hören und bei ihm zu beichten, muss sein Draht zu Gott doch unvergleichlich kürzer sein als bei anderen Menschen. 1959 wird eine neue, größere Kirche gebaut. Auch diese wird bald zu klein für den Besucheransturm, der selbst nach Padre Pios Tod nicht abreißt.

Und so wird schließlich Renzo Piano erlaubt, sich architektonisch auszutoben. 7.000 Menschen fast seine Kuppelkirche, die sich wie ein flacher Hügel aus den Bergen des Gargano schält. Auf dem weiten Platz davor, passen noch einmal 30.000 Menschen.

Padre Pios Krankenhaus – Bedeutendes Vermächtnis

Wer die Person Pios allein auf seine Wundmal-Geschichte reduziert, der versteht nur einen Teil der Geschichte. Gleich hinter dem Heiligtum erhebt sich auch ein weißer Prachtbau, den man von weitem für ein preußisches Schloss halten könnte. Das ist das Krankenhaus, welches von Padre Pio gegründet und erbaut wurde. Die Idee vom „Haus zur Linderung der Leiden“ nahm schon 1940 konkrete Formen an. Aber es war Krieg und niemand glaubt so recht daran, dass es gelänge ein so großes Krankenhaus am Allerwertesten der Welt zu bauen. Doch bis zum Ende des zweiten Weltkriegs hatte Pio schon so viele Spenden zusammen, dass der Grundstein gelegt werden konnte.

Was mit 300 Betten begann, ist heute eins der wichtigsten und größten Krankenhäuser Italiens. Eine wahrlich beachtliche Hinterlassenschaft – für den der Zwecke vielleicht auch die Mittel geheiligt hat. In den über 100 umliegenden Hotels wohnen nicht nur Touristen sondern vor allem die Familienangehörigen derer, die im Krankenhaus behandelt werden.

Santuario di Padre Pio“ – (Bau)Kunst und Kommerz

Hat man San Giovanni Rotondo erstmal erreicht, ist es unmöglich, das Heiligtum zu verfehlen. Man folgt der Ausschilderung oder den anderen Autos und dort, wo das Parkchaos am größten ist, befindet sich auch das „Santuario di Padre Pio“. Ein wenig enspannter parkt man auf dem großen Parkplatz am Eingang der Allee aus Lebensbäumen, die zur Kirche hinauf führt. Am Ende der Allee befindet sich das Besucherzentrum. Hier gibt es eine Anlaufstelle für Pilger, sowie einen Besuchershop mit Devotionalien aller erdenklicher Art: Statuen in unterschiedlichen Größen und aus verschiedenen Materialien, Rosenkränze, Magnete, Kugelschreiber, Karten…

Was mich am meisten verblüfft, ist der Tresen hinter dem ein Priester ohne Unterbrechung Segnungen ausspricht und Weihwasser auf die Anstehenden sprenkelt. Es erinnert entfernt an den Drive-through einer bekannten Fastfood-Kette.

Nimmt man dann entweder den Fahrstuhl oder steigt rechts die Treppen den Hügel weiter hinauf, steht man endlich auf dem dreieckigen Platz vor der modernen Wallfahrtskirche. Tatsächlich fühlen wir uns recht verloren auf der weiten, hellen Fläche, obwohl wir beileibe nicht die einzigen Besucher sind. Vor der Eingangstür drängen sich die Gläubigen, die scheinbar keinen Einlass mehr gefunden haben. Wir beschließen, die riesige muschelförmige Kirche wenigstens einmal zu umrunden. Schnell erkennen wir, dass es noch diverse Seiteneingänge gibt. Ohne Schwellen oder Veränderungen des Bodenmaterials ist der Übergang in die Kirche nahtlos und wir können bis zur Lehne einer der letzten Kirchenbänke eintreten. Der Kirchenraum mit nur einem, wenn auch riesigen, Mosaikfenster hinter dem Alter liegt in einem angenehmen Halbdunkel, während der Altar dramatisch beleuchtet wird. Daneben beeindrucken die riesigen Steinbögen, welche die kupferne Dachkonstruktion tragen. Wäre nicht alles so modern und neu, man hätte sich auch wie in einer weiteren Höhlenkirche des Gargano fühlen können. Auch als Atheist empfindet man einen gewissen Respekt vor der architektonischen Leistung.

An der rechten Seite windet sich eine lange Schlange von Gläubigen an der Kirche entlang. Sie stehen an, um in die Krypta zu gelangen, in der Padre Pio wie Schneewittchen in einem Glassarg ausgestellt ist. Von meinen Schwiegereltern, die selbstverständlich bereits kurz nach der Eröffnung des Heiligtums im Jahr 2004 hier waren, weiß ich, dass seine Gesicht „nur“ eine Wachsmaske wie bei den Puppen in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett ist. Entgegen der offiziellen Verkündigung von einer „kaum verwesten Leiche“, kann ich mir nicht vorstellen, dass bei der Exhumierung nach 40 Jahren noch ein ansehnlicher Körper vorhanden war. Wie auch immer, wir sind nicht Fans genug, um uns in die Schlange der Wartenden einzureihen. Außerdem werden wir auch immer wieder komisch angesehen, weil Davide nicht auf das Mitführen seiner erst am Vortag in Monte Sant’Angelo gekauften Spielzeugarmbrust verzichten wollte.

Fazit

Wie Religion selbst ist die Figur des Padre Pio, sein Heiligtum in San Giovanni Rotondo und alles, was damit zusammenhängt, äußerst streitbar. Lässt man das beiseite dann bleibt eine der größten, modernen Kirchen der Welt in einem einmaligen Design als Sehenswürdigkeit, gut versteckt im Foggianischen Hinterland Apuliens. Man muss sie nicht gesehen haben, aber sie bietet einen schönen Kontrast zu den vielen historischen und traditionellen Kirchenbauten im Land.

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