Archiv für den Monat Juli 2012

Alberobello – Stadt der Trulli

An Alberobello führt in Apulien kein Weg vorbei. Meine Mutter freut sich schon seit Tagen darauf, die kleine Stadt etwa 60 km südlich von Bari noch einmal zu besuchen. Zu gut ist ihr unser letztjähriger Ausflug im Gedächtnis geblieben, bei dem wir schließlich mit zahlreichen Taschen bepackt und halb beschwippst wieder im Zug nach Triggiano gelandet sind. Natürlich gelangt man auch mit dem Auto dorthin. Parkplätze sind im Zentrum ebenfalls leicht zu finden, aber dann sollte man sich vorher schon darüber einig sein, wer zurückfährt. 

Bereits auf dem Weg sieht man vereinzelt kleine runde Bauten mit einem kegelförmigen Dach aus Steinplatten stehen. Das sind die sogenannten Trulli, für die ganz Apulien bekannt ist. In Alberobello jedoch bestehen ganze Stadtteile ausschließlich aus Trulli, die sich auf zwei Hügeln dicht aneinander reihen. Diese einzigartige Bauweise und Häufung der Kegelbauten hat dazu geführt, dass die Unesco den Ort 1996 zum Weltkulturerbe erklärt hat. Dabei wurden die Häuschen in ihrer Entstehungszeit im 16. Jahrhundert überwiegend von armen Bauernfamilien bewohnt, die dort auf engstem Raum untergebracht waren. Heute werden die Trulli in der Altstadt als originelle Verkaufsräume und Restaurants genutzt oder an Touristen vermietet. So könnte man Alberobello auch als große Touristenfalle betrachten – allerdings eine, in die man mit Vergnügen tappt. 

In Alberobello angekommen folgt man einfach der Beschilderung „zona dei trulli“ und gelangt ganz sicher auf die Straße „Largo Martelloto“, welche zwischen den besagten Hügeln hindurchführt. Man kann die Trulli also nicht verfehlen. Den Fußgänger aus Richtung Bahnhof führt der Weg garantiert am Rathaus vorbei, hin zu einer Aussichtsplattform, von der aus man einen weiten Blick auf den gegenüberliegenden Hügel und die Dächer der Trulli mit ihren typischen Symbolen als Kegelabschluss hat. Diese einfachen Figuren wie Kugeln oder Halbkugeln sind nicht nur Schmuck sondern waren auch das Markenzeichen des jeweiligen Erbauers oder auch der Familie, der das Haus gehörte. Dazu kommen vereinzelt mit Kalk auf die Dächer gemalte Symbole, die dem Haus Glück bringen sollen. 

Neben dieser Plattform führt eine Treppe hinunter auf die „Largo Martello“, von wo aus man die „Zona Rione Monti“ in Angriff nehmen kann. Während man das abgetretene Pflaster der engen Straßen unter die Füße nimmt und den Hügel auf und abläuft, kann man zu beiden Seiten die Trulli von innen ansehen sowie typische Produkte der Region kosten und natürlich auch kaufen. Ich habe inzwischen meine Lieblingstrulli, in die ich immer wieder einkehre. Bei einigen mag ich die Produkte. Bei anderen mag ich die Tatsache, dass die Besitzer eine Aussichtsplattform auf dem Dach angebracht haben. Man sollte also gut auf die Hinweise „vista panoramica“ achten und sich die Aussichten nicht entgehen lassen. 

Wohin ich meine Eltern natürlich führen muss, ist das Trullo von Orazio Annese, der bereits in den 80ern damit begonnen hat, Miniaturtrulli als Souvenirs zu bauen. Inzwischen sind auch seine Söhne in das Geschäft eingestiegen und wer ein Mitbringsel zum Ansehen und Abstauben sucht, ist bei ihm in der Via Monte San Michele genau richtig. Das Trullo ist leicht an der Tafel „Alberobello in miniatura“ zu erkennen. Tatsächlich muss man das Geschäft durchqueren und zum Hintereingang in den Garten vordringen. Dort hat der Künstler/ Handwerker unter einer Überdachung eine Miniaturansicht des Stadtteils aus 300 handgemachten Trulli im Maßstab 1:50 aufgebaut. Eine Arbeit, die sich über mehr als ein Jahr erstreckte und vor der man gern den Hut ziehen darf, zumal für die Besichtigung kein Geld genommen wird. 

Wie bei allen Trulli ist dieses Schmankerl natürlich auch Mittel zum Zweck. Man muss sich bewusst sein, dass man dadurch und durch die freundliche Ansprache auf der Straße mit dem Hinweis, dass es in einem Trullo etwas Besonderes wie etwa einen Brunnen (eigentlich eher eine Regenwasserzisterne), eine originale Kochnische oder einen Blick unter das Dach zu entdecken gäbe, zuallererst als potenzieller Käufer in ein Geschäft gelockt werden soll. Überhaupt muss man nach Alberobello entweder ein dickes Fell an freundlicher Ignoranz oder aber einen gut gefüllten Geldbeutel mitbringen. 

Um die Zungen zu lösen und das Geldausgeben etwas leichter zu machen, kehren wir daher zuallererst in einem Trullo ein, in dem man Likör und Knabberein probieren kann. Man sollte sich dabei ruhig durch einige Läden hindurchkosten, denn, obwohl böse Zungen behaupten, es gäbe überall das Gleiche zu trinken, kann ich das nicht bestätigen. Ich habe auch hier inzwischen ein Geschäft gefunden, aus dem mir der Likör am besten schmeckt. Der Kaktusfeigenlikör ist neben dem Zitronenlikör der absolute Klassiker und wird einem immer zuerst angeboten. Doch daneben gibt es so ziemlich jedes Obst häufig in einer Sahne- und einer eher puren Variante: Mandarinen, Apfel oder Pflaumen zum Beispiel. Sehr lecker sind auch Mandel- oder Pistazienlikör. Natürlich kann man auch Weine aus der Region erwerben und sich von Weißwein über Rose bis zu den Rotweinen durchkosten. Die Verkäuferinnen sind überall sehr hilfreich und versuchen mit gezielten Fragen, den Geschmack zu treffen. Zwischendurch wird auch allerhand Knabbergebäck verkostet. Von den herzhaften Teigkringeln „Taralli“ über süßes Mandelgebäck bis hin zu Pepperoncinoaufstrich kann alles dabei sein. Die Preise für die 0,7 l Flasche für den selbstgemachten Likör sind inzwischen auf 12-14 Euro angestiegen. Wenn man sich etwas gönnen möchte und genug Platz und Polsterung für den Reisekoffer hat, dann sollte man sich ruhig ein bisschen Urlaubsgefühl in Form von Likör oder Wein mit nach Hause nehmen. Taralli oder Gebäck bekommt man aber günstiger und ebenfalls aus der Region in kleineren Geschäften auch in Bari oder jeder anderen Stadt. Hier lohnt sich der Kauf nur, wenn man zeitlich unter Druck steht.

Leicht angeheitert und mit einer Abpackung aus drei Flaschen Likör und einem Wein stürzen wir uns wieder ins Touristengewimmel. Im Sommer wird hier der Jahresumsatz erzielt. Besonders gut sind dabei die Tage, an denen das Wetter durchwachsen ist, erzählt uns Luigi aus dem Geschäft „Pasteca La Madrogra“. Er verkauft hier handgewebte Tischdecken, Servietten und Handtücher aus Baumwolle oder Leinen. Wenn er morgens Wolken am Sommerhimmel entdeckt, weiß er genau, dass die meisten Touristen an diesem Tag nicht ans Meer fahren sondern Sehenswürdigkeiten wie Alberobello besuchen werden. Im Winter hingegen bleiben manche Trulli wegen der geringen Besucherzahl gänzlich geschlossen. Der Verandatisch meiner Eltern hat leider unmögliche Maße, so dass meine Mutter keine passende Tischdecke findet, auch wenn sie das Muster und die Qualität noch so schön findet. Aber auch dafür hat Luigi eine Lösung. Sie ist wie alles in seinem Laden nicht ganz billig, aber im September werden wir das maßgefertigte Stück abholen können. Er würde es auch gleich nach Deutschland schicken – und mich damit um einen guten Grund bringen, wieder nach Alberobello zu fahren. Nein, nein, manche Sachen erledigt man besser persönlich.

Ein Muss bei solchen Ausflügen ist auch immer der Besuch im Tonpfeifenladen „La Bottega dei Fischietti“. Federvieh, Hunde, Katzen, Sternzeichentiere, Menschen, fantasievolle Zusammenstellungen anderer Art – man glaubt gar nicht, was man alles in eine bunt bemalte Pfeife verwandeln kann. Außerdem zieht es mich auch immer wieder hinunter in einen Trullikeller, in dem Gianni Dragone und Renata Marotti den Verkaufsraum ihres Geschäftes „Dealfa“ eingerichtet haben. Die handgemachten Ledertaschen, Geldbörsen, Brillenetuis oder Lederschmuck sind so schön wie einzigartig. Erwähnenswert sind auch zwei kleine
Schmuckgeschäfte, in denen ich schon so manches Weihnachtsgeschenk erstanden habe. Und natürlich muss man sich die etwa hundertjährige Kirche San Antonio in Form eines Trullo angesehen haben, die im Jahre 2004 generalüberholt wurde. Wem genügend Zeit bleibt, der kann auch im Territorialmuseum auf der Bahnhofsseite auf der „Piazza 27 Maggio“ der Stadt vorbeisehen. Nach der Ernennung zum Weltkulturerbe hat man in einem der größten Trullikomplexe Alberobellos eine Ausstellung zu Geschichte und Handwerk der Gegend eingerichtet. 

Wer jedoch mit den Verkäufern in den Trulli ins Gespräch kommt, erfährt quasi nebenbei interessante Details. So erklärt mir Grazia während sie uns in ihrem Trullo den unvermeidlichen Kaktusfeigenlikör einschenkt, dass ihre Familie ihr Trullo noch bis in die 80er Jahre hinein bewohnt habe. Sie zeigt auf den kleinen vielleicht 2 m² großen Raum links von uns und erklärt, das wir vor dem „Schlafzimmer“ ihrer Großmutter stehen, die das einst darin befindliche und den gesamten Raum ausfüllende Bett nur mit Hilfe eines langen hakenbewehrten Stabes, den Grazia zur Erinnerung an einer der Wände aufgehängt hat, in Ordnung bringen konnte. Sie öffnet eine kleine Holztür in der linken Wand des nicht viel größeren „Wohnzimmers“, die jetzt den Blick auf das „Schlafzimmer“ ihrer eigenen Mutter frei gibt, das nicht mehr gewesen sein kann, als ein 50 cm breites Brett in der Wand. Der Verschlag in der Wand gegenüber (oder auch das Bett ihrer Schwester) wurde inzwischen zu einem Regal umgebaut, auf dem Marmeladengläser und touristischer Nippes stehen. Die Brüder hatten unter dem Dach ein wenig Platz, und links neben dem Schlafzimmer waren vielleicht 1,5 m² Meter übrig für etwas, das Grazia „Küche“ nennt. Besser kann ein Museum die beengten Wohnverhältnisse nicht illustrieren. Richtig lebens- und liebenswert wird so ein Trullo also erst als Komplex aus mehreren aneinandergrenzenden Trulli. Als Einzelbauwerk ist es eher romantisch als praktisch. 

Weit nach Mittag bekommen wir nach all den Kostproben und Häppchen doch noch richtigen Hunger. Diesen kann man ganz bequem in einem Ristorante in der Zona Rione Monti stillen. Sehr gut gegessen und getrunken haben Luigi und ich bereits im „Casanova“ in der Via Monta San Marco. Von der einen Seite gelangt man über eine schmale Treppe, von der anderen Hauseite durch einen etwas weniger steilen Abstieg in die hellen kühlen Kellergewölbe des Restaurants. Die Speisen und die Qualität des Services sind hervorragend. Für 40 Euro bekommt man ein erstklassiges Menü serviert. Im Herbst werden auch Maroni frisch vor den Augen des Gastes geröstet. Aber gerade im Sommer gibt es günstigere kleine Restaurants z.B. um den Rathausplatz herum, die ein Touristenmenü mit typischen Gerichten der Gegend für 10 Euro pro Person servieren. So essen wir dieses Mal in der Via Garibaldi neben Antipasti aus Oliven, Brot und Taralli, die typischen Öhrchennudeln „Orichiette“ in Tomatensauce mit winzigen Fleischbällchen, einen Fleischteller mit einer kleinen Roulade, einem Fleischspieß und einem Würstchen sowie zum Abschluss Melone. Wasser und Wein sind ebenfalls inbegriffen. Aber auch für den ganz kleinen Geldbeutel gibt es die Möglichkeit auf hervorragende Art satt zu werden. So findet man auf der „Largo Martello“ einen kleinen Bäckerladen, der sehr, sehr leckeres Focaccia (eine Art dicke Pizza mit verschiedenen Belägen) anbietet, das man auf den Bänken unter dem Sonnendach davor genießen kann. 

Nach dem Essen stellen wir fest, dass unsere Füße einigermaßen müde geworden sind und setzen uns noch eine Weile unter einen der Oleanderbäume auf dem Rathausplatz. Man hört die Stadt förmlich schlafen, so still ist es nachmittags gegen vier. Kein Auto, das brummt. Kein Motorrad, das röhrt. Keine Anwohner in den Straßen, die sich lautstark unterhalten. Nur das leise Gemurmel der Touristen in den Bars… jetzt werden wir erst richtig müde und beschließen, auf einem kleinen Umweg zum Bahnhof zurückzugehen und der Stadt der Trulli Lebewohl zu sagen – ganz sicher nicht zum letzten Mal.