Archiv für den Monat Januar 2015

Immer noch verliebt in die Lehrerin?

Eigentlich wollte ich den Mantel des Schweigens über die ganze peinliche Angelegenheit breiten, aber da ich nun von mehreren Leuten direkt gefragt, gebeten, bzw. fast angefleht* wurde, zu erzählen, wie die Sache weitergegangen ist, sollen die geneigten Blogleser auch erfahren, was aus mir und meinem debil grinsenden Schüler, der sich jede Woche einmal für zwei Stunden in den Zug nach Bari setzte, um sich die Grundzüge der deutschen Sprache beibringen zu lassen, geworden ist.

Wir erinnern uns: Aus heiterem Himmel hatte er mich plötzlich in einer Unterrichtsstunde mit stark übertriebenen Komplimenten überhäuft und mehrmals zum Essen in seine Heimatstadt eingeladen. Natürlich war es mir nicht möglich, große Teile dieser oder der folgenden Unterrichtsstunden auf dem Schulklo zu verbringen, was ich instinktiv als meine schnellste Rettungsmöglichkeit angesehen hatte. Es ging auch nicht an, wie eine Blogleserin mir geraten hatte, den Unterricht mit diesem Schüler aufzugeben, da die Schule keine zweite Deutschlehrerin hatte. Wie so oft im Leben gab es nur die eine Möglichkeit: Augen zu und durch. Leider musste ich die Augen dabei jedoch geöffnet lassen. Das sähe sonst unprofessionell aus. Man kann auch mit geschlossenen Augen schlecht an der Tafel schreiben.

Zum Glück sagte er seine Stunde in der darauffolgenden Woche ab, sodass mein Panikgefühl zwei Wochen Zeit hatte, um sich auf ein normales Unwohlsein zu reduzieren. Zur nächsten Stunde brachte er dann eine nette Zusammenstellung von Süßigkeiten aus einer Konditorei mit zum Unterricht. Verdammt, verdammt! Wer italienisches – ich nenn’s mal Kuchenkonfekt – kennt, der weiß, wie schwer es ist, dem zu widerstehen, vor allem wenn es eigentlich Abendbrotzeit ist und man zum Mittag nur ein Brötchen hatte. Aber mit dem fröhlichen Hinweis, der in meinen Ohren jedoch wie eine unterschwellige Drohung klang, dass er mir die Pasticceria auch mal zeigen könne, wenn ich nach M. käme, hatte sich mein Hungergefühl schlagartig gelegt, noch bevor ich dazu gekommen war, überhaupt eines der Teilchen zu wählen. „Danke,“ sagte ich also, „ich esse keinen Kuchen.“ – Das verstand er natürlich nicht, weil er auch nach 12 Stunden keine einzige Vokabel gelernt hatte. Doch als ich den Pappteller weit von mir schob, dürfte – glaube ich – klar gewesen sein, was ich gemeint hatte.

„Corinna,“ schalt ich mich zu Hause, „du musst ekliger werden! Schluss mit dem Lächeln, der Freundlichkeit und dem Verständnis für nicht gemachte Hausaufgaben.“ Zur nächsten Stunde frisierte ich mir einen strengen Dutt, kleidete mich formell, als müsse ich vor einem Ausschuss sprechen, und setzte meine intelligente, dunkelblaue statt der unauffälligen, rahmenlosen Brille auf. Dann hielt ich ihm einen oberlehrermäßigen Vortrag darüber, dass er bei nur zwei Stunden in der Woche unbedingt seine Hausaufgaben machen müsse, um das bisschen Gelernte nicht sofort wieder zu vergessen. Ich schrieb‘ ihm exemplarisch 10 Lernkarten, ließ ihn 10 weitere schreiben und mehrmals bis 20 zählen… Als er sich erneut bei 18 verzählt hatte, meinte er, dass ich an diesem Tag ganz besonders hübsch aussähe, und fragte im gleichen Atemzug, ob ich auch den Zug um 18:10 nehmen würde und wir zusammen fahren könnten.

Wem jetzt die Fantasie hinsichtlich der folgenden Wochen durchgeht, dem muss und kann ich zu meiner Zufriedenheit sagen: Ich wurde von Luigi abgeholt und musste nicht mit dem Zug fahren. Ich wurde auch nicht plötzlich entführt und nach M. verschleppt oder mit anderen italienischen Leckereien bestochen. Statt dessen wurden die nächsten zwei Stunden ohne Begründung abgesagt, dann war Weihnachtspause und nach der Befana verkündete er mir mürrisch, dass er ab März in den Norden gehen und dort Arbeit suchen wolle. Meine Voraussicht, mit einem Snack vor dem Unterricht vor jeglicher kulinarischer Verführung gefeit zu sein, erwies sich als unnötig. Offenbar war ihm inzwischen klar geworden, dass Deutschunterricht kein Kaffeekränzchen sondern Arbeit war, und sein Grinsen hatte ebenfalls nachgelassen.

So lange er also zum Unterricht kommt, werde ich ihn weiterhin mit Wortkarten und Wiederholungen quälen, sowie in Minitrippelschritten vorwärts gehen. Bisher ist er im Sinne einer Wissenserweiterung nahezu resistent geblieben. Er hält das „ß“ immer noch für ein „B“ und viel mehr als „Guten Tag“ und „Tschüss“ spricht er bis heute nicht. Auch Artikel kann er sich nicht merken; geschweige denn was ein Artikel eigentlich ist. Und wenn er liest, frage ich mich manchmal, in welcher Sprache der Text eigentlich geschrieben wurde. Es fällt mir schwer, mein Temperament unter Kontrolle zu behalten und nicht Rumpelstilzchen gleich vor Wut und Ohnmacht durch den Raum zu springen oder aus Verzweiflung mit dem Kopf gegen eine Wand zu schlagen… oder – sogar schlimmer noch – in unkontrolliertes, hysterisches Lachen auszubrechen.

Dafür verfestigen sich seine Pläne mit dem Norden und er will ab März eine Freundin statt seiner zum Unterricht schicken. Ich freue ich mich jetzt schon darauf und denke die Chancen stehen gut, dass sie sich nicht in mich verlieben wird – hoffe ich jedenfalls.

* Ich neige gelegentlich zur Übertreibung.