Archiv für den Monat Juli 2023

Treffen sich eine Astrophysikerin, ein faschistischer Nobelpreisträger und ein Dealer…

Was sich wie der Beginn eines Witzes anhört, illustriert wunderbar, dass Süditalien manchmal doch recht absurd sein kann. Aber von vorn, denn alles beginnt mit einer Unterführung.

Unterführung normal

Unterführungen sind gewöhnlich Orte, an denen man sich nicht besonders wohl fühlt. Da muss man nicht unbedingt an Klaustrophobie leiden. Es genügt schon, sich vorzustellen, was sich alles über einem befindet und schon läuft man einen Schritt schneller.

Dazu kommen merkwürdige Gerüche, krakelige Anschriften und gelegentlich auch Mitbürger, denen Unterführungen zumindest zeitweise als Behausung dienen. Alles in allem kein Ort, an dem man länger verweilen möchte.

Ganz anders die Unterführung vor Baris Technischem Institut und wissenschaftlichem Gymnasium „Marconi – Hack “. Im Mai wurden plötzlich die schmutzigen und teilweise mit Sprühfarbe bekritzelten Wände geweißt. Kurz darauf sah man Leute in blauen Westen und unbewestete Jugendliche Himmelskörper, Sternbilder und technische Gerätschaften an die Wände malen. Außerdem zwei Porträts, neben denen die Namen Guglielmo Marconi und Margherita Hack standen.

Marconi: Meine Erfindungen …
Margherita Hack (Grafitti)

So etwas fällt natürlich ins Auge, ja kann gar nicht übersehen werden. Daher wurde ich neugierig und recherchierte ein wenig. Margherita Hack war Astrophysikerin, über 30 Jahre Professorin an der Uni von Triest und die erste Frau, die in Italien eine Sternwarte leitete. Außerdem war sie auch passionierte Vegetariern, bekennende Atheistin und Mitglied in einem Komitee, dass übersinnliche Phänomene untersucht und Aberglauben bekämpft. Seit ihrem Tod wurden wichtige Preise nach ihr benannt; darunter ein Preis für Astrophysik.

Sehr zu empfehlen ist ein Interview aus dem Jahr 2007 in der Zeitschrift Emma, das man heute noch im Internet nachlesen kann (hier klicken). Hier zeigen sich sowohl ihr trockener Humor als auch ihre direkte Art. Ebenfalls sehr treffend ist der Spruch ausgewählt, der einen Teil der Unterführungswand ziert: „Wir alle haben einen gemeinsamen Ursprung: Wir sind alle Kinder des Universums, der Evolution der Sterne … und deshalb sind wir tatsächlich alle Geschwister.“

Guglielmo Marconi würde sich wohl dagegen verwehren, mit dem ganzen Universum verwandt zu sein. Zwar hat er es für seine Arbeiten im Bereich Funktechnologie sogar zum Nobelpreis für Physik geschafft, startete aber als Sohn eines Adligen gleich privilegiert ins Leben. Dass er Faschist und sogar Mitglied im Faschistischen Rat Italiens war, hinterlässt für mich einen bitteren Beigeschmack. Doch da er schon 1937 starb, musste er nicht mehr miterleben, wohin der Faschismus in Europa führte. Vermutlich rettete sein früher Tod seine Reputation und, dass er Aussagen getroffen hat wie diejenige, die an der Unterführungswand angeschrieben steht: „.. meine Erfindungen sind dazu da, um die Menschheit zu retten und nicht um sie zu zerstören.“ Sonst würde man heute wohl kaum ein Gymnasium nach ihm benennen.

Sei’s drum, unter dem Motto „Retake Bari“ haben idealistische Freiwillige der gleichnamigen Organisation hier gute Arbeit geleistet, um ein Stück öffentlichen Raumes in Apuliens Metropole ein bisschen lebenswerter und weniger unheimlich zu machen. Diese freundlich farbige Unterführung in Bari Japigia hat seit ihrer Fertigstellung im Mai jedenfalls noch nicht gelitten. Ich glaube, es würde auch schwer fallen, die Arbeit der jungen Künstler zu zerstören.

Gut gefällt mir darüber hinaus, dass ein Graffiti, das sich schon seit Jahren auf einer der Wände befand, eine Farbauffrischung bekommen hat und erhalten geblieben ist. Deshalb bietet der verschmitzte „Dealer“ auch heute den Vorübergehenden seine Farbsprühflaschen zwischen Margeritha Hack und dem Universum an.

Bleibt die Frage: Was würden sich die Astrophysikerin, der faschistische Nobelpreisträger und der Farbendealer wohl zu sagen haben, wenn sie sich träfen?

Spacciatore di colori
Der Farbendealer