Archiv für den Monat Juni 2013

Mission Traumwohnung 12 – Wie ich zum Verkehrs-Italiener wurde

Vorrede

IMG_20130630_154444Bis vor wenigen Tagen sah unsere sich im Renovierungsprozess befindliche Traumwohnung noch wie ein einziges Trümmerfeld aus: Kahle Wände und nackte Fußböden wurden von Canyons durchzogen, in denen neue Rohre durch die Wohnung führten. An manchen Rohren vorbei konnte man durch die Wände in angrenzende Räume oder nach draußen sehen. In den Ecken stapeltenIMG_20130630_154629 sich riesige Plastikbehältnisse mit Schutt und kaputten Fliesen. Was nicht in die Behältnisse passte, war zu formschönen Haufen in diversen Zimmerecken zusammengefegt worden. Auf der Terrasse türmten sich die ausgebauten Sanitärstücke, lange und kurze Rohre und die Porenbetonreste des ehemaligen Kamins.

Mit den Worten „Wir sind jetzt vorest fertig.“ hatten sich die Hydrauliker und Elektriker verabschiedet und gemeint, dass es nun an den Mauern wäre, die Wände neu zu verputzen und die Canyons im Fußboden zu schließen. Da diese jedoch noch auf einer anderen Baustelle beschäftigt waren, ruhten die Arbeiten in unserer Traumwohnung mal wieder – bis uns schließlich am Dienstag Vito, der Obermaurer, anrief und sagte: „Am Donnerstag haben wir einen Leiterwagen. Besorgt ihr uns mal die Genehmigung von der Stadtpolizei, ein Parkverbot aufzustellen, damit wir nicht die Straße blockieren müssen.“

Die einfache Varriante der Parkraumbeschaffung und warum sie nicht in Frage kam

„Wofür wollt ihr denn da eine Genehmigung?“, entgegnete ein findiger Polizist Luigi am Dienstagabend auf der Wache der „Gemeindepolizei“ („Polizia Municipale“). „Parkt doch einfach am Abend zwei Autos hintereinander und, wenn der Leiterwagen am nächsten Morgen kommt, fahrt ihr sie wieder weg.“ Der Mann musste Erfahrung mit Umzügen haben, denn das klang einfach und gut; zu einfach wie sich herausstellte. „Wir kommen aber mit zwei LKWs – dem Leiterwagen und dem Auto, mit dem wir die Baumaterialen vom Sanitärmarkt holen“, sagte Vito später am Telefon. „Dafür reicht der Platz von zwei PKW nicht aus.“ Also musste doch eine Genehmigung her, mit der wir den Parkraum der Einbahnstraße vor unserem Haus zur Parkverbotszone erklären konnten.

„Warum kommt ihr denn damit auf die letzte Minute?“, fragte uns Mittwochfrüh um acht die Polizistin auf der Gmeindepolizeiwache. „Der Kollege, der das macht, hat sich für zwei Tage krank gemeldet und der andere ist heute in Triggiano unterwegs.“ Nachdem Luigi ihr erklärt hatte, dass er mit diesem Anliegen schon am Vortag sofort, nachdem er davon erfahren hatte, auf der Wache gewesen war, wurde die Frau Polizistin etwas freundlicher und meinte: „Ihr müsst erstmal zum Rathaus ins Zahlbüro! Dort erhaltet ihr ein Formular. Das füllt ihr aus und kommt damit wieder her. Lasst euch alles von der Frau dort erklären. Die hat Praxis und weiß Bescheid. Ich bin für solche Sachen eigentlich gar nicht verantwortlich.“

Die Parkschweinwerdung I

Zum Glück ist Triggiano nicht sonderlich groß. Aber an einem Tag mit über 30 Grad, möchte man nicht mehrmals durch die halbe Stadt laufen, denn die „Polizia Municipale“ ist vor ein paar Jahren vom Rathausplatz in die Periferie umgezogen. Daher waren wir froh, dass wir mit dem Auto unterwegs sein konnten. Wir fuhren also zum Rathausplatz. Nachdem wir diesen in zehn Minuten mehrmals umrundet hatten, ohne einen Parkplatz zu finden, sagte Luigi: „Halte doch einfach hier auf dem Zebrastreifen.“ „Nein“, entgegnete ich. „Das ist verboten.“

IMG_20130630_154328Ich ließ ihn aussteigen und setzte zur nächsten Runde an. Als ich wieder vor dem Rathaus angekommen war, war ein Stückchen Parkplatz frei, das jedoch auf ein Auto hochgerechnet mit seiner zweiten Hälte einen halben Zebrastreifen einnehmen würde. Bevor ich noch abwägen konnte, ob ich ein halbes Parkverbot mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, hupte es schon nachdrücklich hinter mir. Ich murmelte leise ein paar italienische Vokabeln aus dem Anfängerschimpfkurs und sah im Rückspiegel, dass das Auto hinter mir links blinkte, vermutlich um genau in meine halbe Parklücke zu fahren. Kurzentschlossen setzte ich also den Blinker und parkte ein, statt vorbeizufahren. Der Fahrer im Auto hinter mir rief etwas aus dem Fortgeschrittenenschimpfkurs. Dann hupte er noch einmal erbost und fuhr weiter. „Stehe halb auf dem Zebrastreifen an der Rathausecke“ simste ich an Luigi und hoffte bangen Herzens auf seine Rückkehr, bevor ein „vigile“ („Stadtpolizist“) mich von meinem Parkplatz vertreiben oder mir vielleicht gar ein Knöllchen ausstellen würde.

Nach erstaunlich kurzer Zeit kam Luigi mit dem besagten Formular zurück. Die Stadtpolizistin von der Wache hatte freundlicher Weise im Zahlbüro angerufen und Bescheid gesagt, dass wir kommen würden und das Dokument dringend bis zum nächsten Tag haben müssten. „Okay. Fahren wir also zurück zur Statdpolizei und holen uns die Unterschrift“, meinte ich erleichtert und parkte aus. „So schnell geht das nicht“, zerstörte Luigi jedoch sofort meine Illusion. „Jetzt müssen wir erstmal zu einer ‚tabaccheria‘ (Tabakladen) fahren, um eine ‚marca da bollo‘ zu kaufen. Damit müssen wir dann wieder zurück zum Rathaus fahren und das Dokument ins Protokollbüro bringen.“

„Wie?!“, entfuhr es mir entsetzt. „Wieder zurück zum Rathaus, wo es nicht mal Parkplätze gibt? Also ich stell‘ mich nicht noch einmal in eine halbes Halteverbot! Ich habe schon vorhin Blut und Wasser geschwitzt, weil ich Angst hatte, dass ein Polizist vorbei kommt.“ Doch Luigi schaffte es einmal mehr, mich zu beruhigen und versicherte mir, dass wir später bestimmt einen Parkplatz finden würden.“

Als wir auf Triggianos Hauptstraße, den Corso Vittorio Emanuele, abbogen stellten wir fest, das dieser inzwischen wegen Rohrverlegunsarbeiten halbseitig gesperrt worden war. Super! Das bedeutete, dass unsere Rückweg gezwungenermaßen durch die engen Gassen der Altstadt führen würde. Doch zunächst galt unser Interesse immer noch dem Tabakwarengeschäft, in dem man nicht nur Rauchwaren, Süßigkeiten und Lottoscheine kaufen, sondern auch Gebühren an den Staat für offizielle Dokumente damit bezahlen kann, dass man sich eine „Gebührenmarke“ mit dem entsprechenden Wert kauft und auf das Dokument klebt.

Die Relativität von Einbahnstraßen

Auch an der Tabaccheria dauerte es länger einzuparken, als die Marke für rund 15 Euro zu kaufen, und schon schlängelten wir uns eine schmale Gasse entlang zur nächstbesten Altstadtstraße in Richtung Rathaus. Rechts von uns parkten die Fahrzeuge der Anwohner, so dass ich Luigi bat, den Seitenspiegel einzuklappen. Links von uns erhob sich um zwanzig Zemtimeter der Bürgersteig und, obwohl wir uns in einer Einbahnstraße befanden, stand plötzlich nach einer Kurve ein Auto vor uns und begehrte, in Gegenrichtung vorbeigelassen zu werden. Ich stand auf der Bremse und starrte dem Fahrer des anderen Wagens mit irrem Blick in seine Augen. „Na, du Idiot musst doch spinnen!“, entfuhr es mir auf Deutsch. „Mhm, sexy!“, entgegnete Luigi wenig hilfreich. Der andere Fahrer steckte den Kopf durch die Scheibe. „Das hier ist eine Einbahnstraße!“, schrie ich ihm zu. „Das steht von der anderen Seite aus nicht dran!“, rief der mittelalte Mann zurück und setzte hinzu. „Park doch da hinten ein und lass mich vorbei!“ Boah! Es war warm! Ich war veschwitzt!! Der unselige Rathausplatz stand uns noch bevor, und nun sollte ich auch noch rückwärts parallel in einer Ministraße einparken, in der man nicht mal richtig links einschlagen konnte!!! Ehrlich, ich weiß bis heute nicht, wie ich in diese Parklücke gekommen bin, aber es funtkionierte. Der Fahrer des anderen Fahrzeugs wies noch einmal darauf hin, dass er immer in diese Richtung durch die Straße fahren würde, weil es von der anderen Straßenseite gar keine Einbahnstraße wäre, grüßte freundlich, wünschte mir einen schönen Tag und fuhr vermutlich dem nächsten Ahnungslosen entgegen.

Überflüssig zu erwähnen, dass sich am Ende der Straße ein „Einfahrt verboten“-Schild befand. „Dieser Arsch!“, fluchte ich, während ich mir halb den Hals verrenkte, um das Schild zu erkennen. „Am liebsten würde ich ihm das Schild über den Schädel ziehen, bis er kapiert hat, was ‚Einfahrt verboten“ bedeutet.“ Luigi grinste mich erneut breit an und meinte: „Ich verstehe zwar nichts von dem, was Du sagst, aber es hört sich gut an.“ Widerwillig musste ich lachen. Wir zwängten uns durch eine weitere Altstadtstraße und erreichten wieder den Rathausplatz.

Die Parkschweinwerdung II

Nach zwei vergeblichen Runden Rathausplatzumkreisen und einer ebenso wenig erfolgreichen Parksplatzssuchefahrt in zwei Nebenstraßen, ließ ich Luigi aussteigen und parkte dieses Mal genau auf dem nächstbesten freien Zebrastreifen, von denen sich drei in geringem Abstand direkt vor dem Rathaus befinden. „Stehe auf dem mittleren Zebrastreifen.“ simste ich an Luigi, kurbelte zwei Fenster herunter, damit Luft durch das Auto ziehen konnte, und lächelte das Grüppchen von diskutierenden Opas auf der Bank unter dem Baum neben mir entschuldigend an. Dann überlegte mir, was auf Italienisch heißt, dass ich auf meinen Freund warte, der nur schnell einen Stempel im Rathaus abholen und sofort wiederkommen würde. Doch in den fünfzehn Warteminuten kam niemand, der mich von meinem Platz vertreiben wollte. Zu den Opas auf der Bank hingegen gesellte sich ein weiterer Opa mit einem Mofa und sie begannen ein Kartenspiel. Als Luigi wieder ins Auto eingestiegen war und ich ausparkte, hielt bereits ein anderes Auto hinter mir und setzte den Blinker.

Die Verkehrs-Italienisierung

Noch bevor wir uns in Richtung Stadtpolizeiwache auf den Weg machen konnten, rief Vito, der Maurer an, und sagte, er wäre in zehn Minuten bei unserer Wohnung, um die Parkverbotsschilder abzuladen und uns zu erklären, was wir auf die Hinweistafel schreiben sollten. Also ging es zunächst zu unserer Wohnung, die natürlich in der entgegengesetzten Richtung lag und selbstverständlich schaltete die doofe Ampel genau auf Rot, als wir an der Reihe waren. Ich gab‘ Gas. „Hey, du fährst ja plötzlich wie ein Italiner!“, rief Luigi und schloss seine Finger um den Haltegriff über dem Fenster. „Na, und?“, entgegenete ich. „Hinter mir sind noch zwei rübergefahren. So rot kann es also gar nicht gewesen sein.“ Mein Verkehrsgewissen hatte ich offensichtlich inzwischen ausgeschwitzt.

Da die Parkplatzsituation bei unserer Wohnung genauso fatal wie überall in Triggiano und mein Geduldsfaden bereits sehr dünn war, ersparrte sich Luigi jeglichen Kommentar, als ich rückwärts in eine Einbahnstraße fuhr, um hinter dem ersten Auto einzuparken. Danach mussten wir noch ein ganzes Stück zu Fuß laufen, um schließlich die Schilder in Empfang nehmen zu können. Wir stellten sie an die entsprechenden Straßenecken und rissen die alten Hinweiszettel ab, damit niemand in Verwirrung geraten konnte. Anschließend quetschten wir uns mit dem Auto zurück durch die schon beschriebene Altstadtgasse, in der uns dieses Mal niemand entgegen kam, und fuhren zur Stadtpolizeiwache. Dort war der zweite Verantwortliche für Parkverbotsunterschriften, der seiner Unterschrift unter die Unterschrift der Protokollbürobeamtin setzten musste, immer noch nicht aufgetaucht. Die Polizistin überlegte ein wenig hin und her und machte dann eine Kopie von dem Dokument. „Hier fahrt schon mal zurück ins Zahlbüro und lasst euch den Schein für die Zahlung der Gebühren an die Gemeinde ausstellen. Wenn ich den Kollegen gefunden habe, lasse ich ihn unterschreiben. Seht zu, dass ihr bis um eins mit der Quittung wiederkommt, denn dann schließen wir.“

„Nee, oder?!“ quieckte ich entsetzt, als Luigi wieder ins Auto sprang und meinte, wir müssten schnell noch einmal zurück zum Rathaus fahren. „Das gibt’s doch nicht! Da kommen wir doch gerade her!“ Aber Luigi sah mich so entnervt an, dass ich nicht länger glauben konnte, dass er vielleicht scherze.

Inzwischen war es elf geworden. Nach drei Stunden Stadtverkehr in Triggiano fuhr ich direkt und ohne langes Parkplatzsuchkreisen auf den mittleren Zebrastreifen vor dem Rathaus. Nach zehn Minuten war Luigi wieder da und meinte, die Beamtin hätte ihm aus Gott-weiß-welchen Gründen nur 28 statt 56 Euro Gebühr aufgebrummt, und nun müssten wir zur Post fahren, um diese dort zu bezahlen. Obwohl die Post nur 10 Minuten Fußweg vom Rathaus entfernt lag, konnten wir das Auto schlecht auf dem Zebrastreifen stehen lassen. Also kurvten wir erneut über den Corso zurück, auf dem die halbseitige Sperrung mit Genehmigung zur Einfahrt von der gesperrten Seite für Anwohner inzwischen so großzügig ausgelegt wurde, dass sich zwei Verkehrspolizisten eingefunden hatten, die mittelmäßig erfolgreich versuchten, etwas Ordnung in das entstandene Chaos zu bringen. Minutenlang ging gar nichts mehr.

Trotzdem erreichten wir die Post unversehrt an Leben und Auto. Wir mussten nach dem obligatorischen Nummernziehen auch nur zwanzig Minuten warten, bevor wir unsere Zahlung leisten konnten, und da sich unser Auto nun schon fast von allein durch die bekannten Altstadtgassen lenkte, kamen wir relativ entspannt bei der Stadtpolizeiwache an. Mit völlig abgeschaltetem Gehirn stellte ich mich auf den Statdpolizistenparkplatz direkt vor deren Wache und ließ Luigi die letzte Unterschrift auf dem nun vollständig ausgefüllten Dokument abholen. Als er durch die Tür wieder nach draußen kam, winkte er freudig mit den Papieren. „So,“ sagte er dann, „jetzt müssen wir das Ganze nur zurück zum Rathaus bringen.“ „Nee!“, sagte ich. „Dann fährst du jetzt! Ich kann nicht mehr. Mir tut der Kupplungsfuß weh.“

IMG_20130630_154407Doch Luigi grinste und meint: „Das geht auch morgen noch. Ich mache das am Nachmittag. Hauptsache ist erstmal, dass WIR die Genehmigung haben. Wenn sich also jemand morgen bei der Stadtpolizei beschwert, dann wissen die, das alles in Ordnung ist und wir bezahlt haben.“ Wie wunderbar! Wir schafften es sogar noch vor dem Mittagessen die Hinweise an den Parkverbotsschildern anzubringen, auf denen geschrieben stand, das am 27.6. von 7 bis 17 Uhr nicht vor dem Haus geparkt werden durfte. Mission erfüllt. Der Leiterwagen und die Baumaterialien konnten kommen.

Nachrede

IMG_20130630_154524Zwei Mit-Triggianesen müssen sich gedacht haben, dass unsere transportablen Parkverbotsschilder nur ein Scherz wären. Sie parkten gnadenlos am nächsten Tag auch nach 7 Uhr auf unseren 20 bezahlten Parkraummetern. Da die beiden nicht einmal direkt hintereinander standen, mussten sowohl der Leiterwagen als auch der Baumaterialtransporter mitten auf der Straße stehen bleiben, die damit nicht mehrIMG_20130630_154556 passierbar war. Maurer Vito erzählte uns von Hupkonzerten und Flüchen, doch er habe es nicht übers Herz gebracht, die Stadtpolizei zu rufen, welche die Autos theoretisch abschleppen lassen hätte können. Trotzdem landeten Fliesen, Kies, Zement und andere Baumaterialien am Ende auf unserer Terrasse, so dass die Bauarbeiten am nächsten Tag weitergehen konnten.