Archiv für den Monat Oktober 2012

Mission Traumwohnung 2

Von der Zustimmung zum Wohnungsschlüssel

Fünf Monate sind seit dem ersten Kontakt mit der Traumwohnung über die Preisverhandlungen bis zur Zustimmung des Verkäufers ins Land gegangen. Mitte Juli soll nun endlich der Vorvertrag geschlossen werden. Damit werden wir eine Anzahlung leisten und uns verpflichten, am Tag der Unterschrift unter den Kaufvertrag, den Rest der Summe zu erbringen. Am 12.7. lerne ich also, dass Notar auf italienisch „notaio“ heißt, und dass die italienische Bürokratie mindestens genauso langweilig ist wie die deutsche.

Während wir darauf warten, dass die Notarangestellte mit dem Kopieren unserer Ausweise fertig wird, machen wir uns mit dem Verkäufer – einem 80-jährigen Süditaliener bekannt. In jungen Jahren hat dieser auf Baustellen in Südamerika gearbeitet und alles verdiente Geld in die Heimat geschickt, um damit bei seiner Rückkehr eigene Häuser bauen zu können; so zum Beispiel den gesamten Palazzo, in dem sich unsere Wohnung befindet. Irgendwann in der näheren Vergangenheit hat ihn ein Freund um den Gefallen gebeten, für ihn zu bürgen … und wie es in solchen Geschichten immer kommt, konnte dieser Freund am Ende nicht zahlen, weshalb der Nochbesitzer unserer Wohnung als Bürge einzuspringen verpflichtet war und nun nach und nach Teile seiner Habe zu Geld machen muss. Er ist offensichtlich ein guter, vertrauensvoller Mensch. Ich nicke verständnisvoll, aber so richtig kann ich trotzdem nicht mitfühlen. Ich denke an die Kosten, die noch auf uns zukommen und finde, wir bezahlen mehr als genug für unsere stark renovierungsbedürftige Behausung. Gleichzeitig weiß ich, dass ich ungerecht bin.

So merkwürdig es klingen mag, aber die Krise in Italien ist unser Glück. In besseren Zeiten wäre die Wohnung auch für den Originalpreis weggegangen. Aber im Moment scheuen sich die Banken vor Krediten und Kaufwilligen sind somit die Hände gebunden. „Hotel Mama“ ist hier nicht nur deswegen so beliebt, weil es bequem ist, sondern weil sich ein junger Mensch den Kauf einer Eigentumswohnung schwerlich leisten kann. Die meisten warten also auf den richtigen Lebenspartner und selbst zu zweit braucht man Jahre, um so viel anzusparen, dass sich eine Bank auf die Restfinanzierung einlässt. Von daher passen Luigi und ich genau ins Schema.

Der Vertrag, der nun in etwa einer Stunde verlesen wird, hört sich für meine Ohren an, wie eine Auflistung der Personalien aller irgendwie beteiligten Personen (sechs an der Zahl), die Nennung der Adresse und der genauen Position der Wohnung sowie Hinweise auf jede Menge Gesetzesstellen. Viel mehr ist es auch tatsächlich nicht gewesen, versichert mir Luigi wenig später. Die einzige Information, um die meine Gedanken jedoch kreisen, ist die Tatsache, dass der endgültige Vertrag mit Schlüsselübergabe spätestens am 30. September unterschrieben werden soll.

„Spätestens heißt doch, dass es auch im August sein kann?“, frage ich Luigi misstrauisch.

„Eher Mitte September“, antwortet er. „Jetzt kommt erstmal der Sommer.“

Ich bin einigermaßen entsetzt: „Zwei Monate für einen Kaufvertrag???“

„Im Sommer ist das so“, sagt Luigi. „Außerdem muss die Bank auch noch den Kreditvertrag aufsetzen.“

Ich versuche, meine entgleisten Gesichszüge wieder zurechtzurücken, denn der nächste Weg führt uns direkt zum Makler, der uns ein paar Tage zuvor bereits mitgeteilt hat, dass wir nicht nur unsere Maklergebühren zu entrichten hätten, sondern auch einen Teil der Gebühr des Verkäufers übernehmen müssten, damit der Makler aus der ganzen Sache mit einem Verdienst herausginge. Der Verkäufer hatte nämlich nur unter der Bedingung unserem Angebot zugestimmt, dass er keine Maklergebühren bezahlen müsse. Noch ein Grund, weswegen sich mein Mitleid mit dem gewürgten Bürgen bis heute in Grenzen hält. Zum Glück ist Luigi mit einer ihn über alles liebenden Tante gesegnet, die uns bei dieser überraschenden Dreingabe finanziell unter die Arme greift.

Wenige Tage später haben wir einen Banktermin. Auch hier besteht die Aufgabe vorrangig darin, persönliche Angaben zu machen und Ausweise zu kopieren. Man verspricht Luigis Vater, dass Anfang September alles fertig sein würde. Offensichtlich läuft das Leben in Süditalien ab Ende Juli tatsächlich auf Sparflamme und erst im September beginnt man wieder, mehr als nur das Notwendigste zu tun. Dabei fühle ich mich gerade so energiegeladen, dass ich selbst sofort den blauen Putz und die bräunlichen Fliesen von den Wänden schlagen könnte. Stattdessen schwitzen wir erstmal ein paar Wochen vor uns hin und warten auf den September.

Währenddessen korrespondiere mit dem Einwohnermeldeamt in Deutschland und besorge mir den vom Notar geforderten Nachweis darüber, dass ich ledig bin. Außerdem brauche ich eine Geburtsturkunde, damit Luigis Vater mich bei der zuständigen Stelle im Rathaus in den Status der Familie erheben kann; sonst habe ich keine offizielle italienische Adresse, die ich auf den Formularen angeben kann. Mit Hilfe von Internet und Telefon sowie unglaublich netten Beamten in Siehdichum und Zehdenick schaffe ich das noch vor Ende Juli. An mir soll das Ganze schließlich nicht scheitern. Bis September haben wir alles Geld auf dem Konto von Luigis Vater zusammengezogen. Es könnte also losgehen.

Mitte September – Luigis Cousine (eine Vermessungstechnikerin) hat bereits alle Maße genommen und wir sind in Baumärkten und Einrichtungsgeschäften zur Ideenfindung unterwegs – erhält Luigis Vater Pasquale einen Anruf von seiner Bank. Sein Bearbeiter habe sich im August einer Operation unterziehen müssen und niemand habe damit gerechnet, dass er tatsächlich so lange krank geschrieben werden würde. Inzwischen ginge es ihm schon besser, aber die Arbeit am Kreditvertrag begänne erst jetzt. Wir müssten uns noch ein wenig gedulden. Wir gedulden uns – also Luigi und seine Eltern. Ich hingegen muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand zu schlagen.

Natürlich ist der Termin am 30. September nicht einzuhalten. Wir sind froh, dass der Verkäufer nicht auf die Idee kommt, uns der Vertragsverletzung zu bezichtigen. Er könnte den Vertrag jetzt jederzeit auflösen und die Anzahlung behalten. Luigis Vater ist leicht ungeduldig geworden, ruft jeden Tag bei seiner Bank an und verfolgt den Vorgang mit.

4. Oktober

Der Bankberater aus Bari streitet sich mit der Bank von Triggiano, die den Vorgang scheinbar an sich reißen will, um die Kompetenzen. Niemand versteht, worum es da richtig geht. Der Chef schaltet sich ein.

10. Oktober

Die Banken haben sich ausgezankt. Das geforderte Dokument ist abgestempelt wieder zurück in Bari. Wir fahren persönlich zur Bank und holen den ganzen Papierkram, um ihn zum Notar zu tragen. Eine Angstellte namens Anna versucht uns Hoffnung zu machen, indem sie uns versichert, dass es mit einem Unerzeichnungstermin nun ganz fix gehen wird – vermutlich am kommenden Mittwoch (17.10). Aber so schnell lasse ich mich nicht mehr ins Bockshorn jagen. Meine Stimmung ist auf dem Nullpunkt angekommen. Ich kann mich nicht mal mehr ärgern. Luigi bleibt ruhig; vieleicht, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Wie auch immer …

11. Oktober

Anna ruft Pasquale an, um ihm mitzuteilen, dass ihr erst nach dem Lesen des Kreditvertrags klar geworden sei, dass die gesamte finanzielle Transaktion über dessen Konto läuft. Da das Konto dem Ehepaar Grillo gehöre, brauche sie eine Eheurkunde von Luigis Eltern. Glücklicherweise kennt Luigis Vater jemanden beim Amt, der ihm das Dokument gleich am nächsten Tag ausstellt.

13. Oktober

Luigi ist optimistisch. Obwohl heute Samstag ist, gehen wir zum Notar, um die Eheurkunde abzugeben. Natürlich wird in dem Büro samstags nicht gearbeitet.

15.Oktober

Das Büro ist kaum geöffnet, da stehe ich schon vor Anna. Sie nimmt die Urkunde entgegen und fragt mich, warum wir noch kein Dokument abgegeben haben, das bestätigt, dass Luigi ledig ist.

16. Oktober

Gleich am Morgen machen wir uns auf den Weg zum Rathaus und besorgen Luigi eine Art Meldebestätigung. Als wir den Zettel wenig später beim Notar abgeben, sagt uns Anna, dass der Termin auf den darauffolgenden Montag (22.10.) verschoben wird, denn die Bank habe sich gewünscht, dass die Unterzeichnung bei ihnen in Bari stattfinden solle und nicht bei unserem Notar in Triggiano. Diese neuerliche Verschiebung nehme ich völlig gleichgültig auf. Vielleicht bin ich inzwischen italienisiert.

18.Oktober

Luigi und ich schauen mal wieder bei Anna vorbei. Wir sollen uns die Verträge durchlesen. Da ich weiß, um was es geht, erkenne ich die Modalitäten auch in den Texten wieder. Abgesehen davon verstehe ich nur Bahnhof, was aber nicht schlimm ist. Anna meint, wenn sie mich frage, ob alles klar sei, müsse ich nur nicken. Sie telefoniert und bestellt sich einen Kaffee in der Bar gegenüber. Als der Kellner an der Tür klingelt, geht sie hinaus und öffnet ihm. Ich blättere die Ausführungen über den Kreditvertrag hastig durch und bin mit dem „Lesen“ fertig, bevor sie wieder da ist. „Alles klar?“, fragt sie und ich nicke.

19. Oktober

Anna möchte die Nummern der Checks, mit denen wir bezahlen werden, in die Papiere schreiben. Sie macht einen kurzfristigen Termin mit Luigi. Dieser ist pünktlich vor Ort, soll jedoch einen Augenblick warten. Nach zwei Stunden hat sie endlich Zeit, Kopien zu machen. Maria und ich überlegen derweil, ob Luigi mit den Checks vielleicht nach Berlin durchgebrannt ist.

21. Oktober

Luigi stellt eine Flasche Spumante in den Kühlschrank. Pasquale kramt in einer Schublade und sucht nach einem Schlüsselanhänger. Ich hingegen befürchte, dass uns Anna morgen früh anrufen und sagen wird, dass der Termin verschoben werden muss. Mögliche Gründe kann ich mir viele vorstellen: Der Notar hat keine Lust, nach Bari zu fahren; er ködert den Bankberater mit einem neuen Termin und einem Gratiskaffee in Triggiano. Oder der Verkäufer fährt heute an den Strand, bekommt einen Beachvolleyball gegen den Kopf und legt sich für ein paar Wochen mit einem Schädeltrauma ins Bett. Oder ein unerwartet heftiges Erdbeben stürzt die Bank in Schutt und Asche. Oder, oder, oder … Wir sind schließlich in Italien.

22. Oktober

Der Bankberater ist bereits vor uns da. Der Notar trifft kurz nach uns ein. Der Verkäufer kommt zusammen mit unserem Makler, denn er besitzt kein Auto mehr. Er hat zum Glück keine Kopfverletzung und ein Erdbeben hat es in der vergangenen Nacht auch nicht gegeben. Die Zeichen stehen gut. Es könnte losgehen.

Wir quetschen uns zu siebt in ein kleines Bankberaterbüro. Der Notar stellt fest, dass er eine Aktenmappe im Auto vergessen hat und verschwindet wieder. Nach zwanzigminütigem Austausch von Höflichkeiten taucht der Notar wieder auf und der erste Vertrag wird verlesen. Zwei Stunden und 20 Unterschriften pro Person später ist endlich alles klar: Wir haben eine Wohnung. Wir haben einen Kredit, eine Hypothek und offensichtlich haben wir jetzt auch ein Konto bei der Banca Populare di Bari. Während wir zu realisieren versuchen, dass das Warten jetzt tatsächlich vorbei ist, erhält der Verkäufer einen Anruf und muss danach unverzüglich aufbrechen: Seine Schwiegermutter ist gestorben. Ich danke ihr von ganzem Herzen dafür, dass sie damit bis nach der Vertragsunterzeichnung gewartet hat und nicht zum gefürchteten Beachvolleyball geworden ist.

Kaum wieder zurück in Triggiano greifen wir uns den Spumante und machen uns auf in unsere neue Wohnung. Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl, einfach so aufzuschließen, hineinzugehen und plötzlich dort zu stehen und zu wissen, dass die Ideen, die wir bereits im Kopf haben, nun auch umgesetzt werden können. „Was auch immer ihr macht,“ sagt Luigis Mutter und deutet auf eine rote Tapete mir einem flirrenden Muster, „reißt zuallererst diese ,schifezzeʻ ab!“ Kein Problem – das hatten wir sowieso vor. Die Wand in der Küche darf auch nicht blau bleiben und auf das Lila im Kinderzimmer legen wir ebenfalls keinen Wert. Wir flüchten also erstmal aus dem müffelig riechenden Farbenrausch der Zimmer auf die Terrasse und lassen dort den Sektkorken knallen.

Während wir auf die Zukunft anstoßen, fällt auch endlich die Anspannung von mir ab und ich finde mein breites Grinsen wieder. Ab sofort wird renoviert. Salute!

(zu Teil 3)