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Eine Nacht in Bari – Stadtführung mit Gianrico Carofiglio

eine-nacht-in-bari-coverMan nennt ihn den „italienischen Grisham“, denn tatsächlich ist er wie besagter amerikanischer Schriftsteller mit Gerichtskrimis auf dem literarischen Parkett bekannt und erfolgreich geworden. Aber er hat sich auch als Politiker einen Namen gemacht. Unter anderem war der Autor, um dessen Erzählung „Eine Nacht in Bari“ es in diesem Beitrag gehen soll, Mitglied der italienischen Antimafiakommission und Senator. Die Rede ist von Gianrico Carofiglio, der mit seiner Frau und zwei Kindern in Bari lebt.

Das Schreiben wurde ihm von seiner Mutter, die selbst eine angesehene Autorin war, praktisch in die Wiege gelegt, doch publizierte er seinen ersten Roman „Reise in die Nacht. Ein Fall für Avvocato Guerrieri“ (orig. „Testimone Inconsapevole“, Sellerio) erst 2002 mit über 40 Jahren. Seitdem jedoch erschienen 12 Romane, mehrere Erzählungen, Essays und sogar eine Graphic Novel, die er zusammen mit seinem Bruder umgesetzt hat, und zeigen, seine ungebremste Leidenschaft für das geschriebene Wort.

Ein Schriftsteller aus Apulien passt natürlich zu mir und meinem Blog wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Aber glücklicherweise wissen meine Freunde, dass ich persönlich mit Gerichtskrimis nicht so viel anfangen kann. Daher bekam ich zu Weihnachten Carofiglios Erzählung „Eine Nacht in Bari“, die 2010 bei Goldmann erschienen ist, geschenkt. Und, obwohl ich sagen muss, dass ein Buch über eine Nacht, in der drei teilweise recht sentimentale Männer im fortgeschrittenen Alter, sich noch einmal gegen ihr Erwachsenendasein aufzulehnen versuchen, sich nicht gerade nach einem Lesevergnügen anhört, konnte ich mich dem leisen Zauber der Erzählung nicht entziehen. Gemeinsam mit dem Ich-Erzähler und seinen beiden Schul- und Studienfreunden Giampiero und Paolo taucht man ein in Apuliens Provinzhauptstadt mit ihrer Esskultur, ihrer typischen Topografie und der Verteilung der sozialen Klassen. Auf den Spuren ihrer Erinnerungen verschmelzen dieselben mit der Gegenwart und zeigen ein Bari irgendwo zwischen einem verlorenen Traum in lauer Sommernacht und nüchterner Realität.

Wer Bari kennt, kann den Weg der Freunde, zwischen denen so viel Unausgesprochenes liegt, das dem Erzähler klar ist, dass dieses Wiedersehen zugleich auch das Ende ihrer in 20 Jahren schon fast eingeschlafenen Freundschaft ist, nachverfolgen. Über das Zentrum und das Messegelände führt dieser Weg hinaus bis zum Flughafen nach Palese. Wer möchte, kann sogar einige Reisetipps und touristisch wichtige Informationen z.B. über die Bedeutung des Heiligen Nikolaus für Bari aus dem Buch mitnehmen. Bei den Kapiteln über den Hund Randy des Ich-Erzählers hingegen musste ich sogar vernehmlich lachen. Die Erzählung hat von allem ein bisschen: Nostalgie, feinsinnigen Humor, leise Spannung, kunstvoll eingewobene historische Hintergründe und sehr persönlich anmutende Geschichten. Sicher spiegelt sich auch ein Teil der Biografie des Autors darin wider. Doch über allem schweben eine traurige Gewissenheit, dass sowohl in Bari als auch zwischen den Freunden bis auf eine duftende Focaccia nichts mehr so ist, wie es war, und gleichzeitig die Erleichterung darüber, dass das Leben mit der aufgehenden Sonne weitergeht.

Wer Süditalien und besonders Bari und seiner Bewohner verstehen will, der sollte diese in schlichte Worte gefasste Erzählung unbedingt lesen. Nur eines müsste der Goldmann Verlag bei der zweiten Ausgabe überdenken: Das Titelbild zeigt eine der bekanntesten Straßen der Altstadt von Alberobello mit ihren typischen Trulli-Häuschen. Dabei muss Bari, seine eigene Altstadt, die des Nachts genauso mystisch anmutet, nicht verstecken.