Suchen und Finden

Mein neuer Freund – das Schleifgerät

In unserem Traumwohnungspalazzo ist es ruhig. Sehr ruhig. Zu ruhig. Man könnte fast glauben, dass wir in einem Sanatorium lebten, wenn nicht die Nachbarskinder unter uns an Wochenenden gelegentlich auf Töpfen und Plasteeimern Trommelkonzerte spielten, bis den sehr leidensfähigen Eltern der Kragen platzt und die Künstler niedergebrüllt werden. Darüber hinaus wird die Sanatoriumsruhe nur von einer einzigen anderen Person gestört und die bin ich, denn ich habe eine große Schwäche für Altes und Gebrauchtes. DerIMG_20140408_140910 sogenannte „shabby chic“ wurde vermutlich nur für mich erfunden. Da jedoch Altes und Gebrauchtes häufig eher„shabby“ (auf gut Deusch: schäbig) als schick ist, muss es oftmals einer Überarbeitung unterzogen werden. Deshalb habe ich meinen letztjährigen Gefährten, den schweigsamen Spachtel, inzwischen gegen ein handliches, aber lautes Schleifgerät eingetauscht, mit dem ich bei gutem Wetter und mäßigem Wind auf der Terrasse Krach mache, um hinterher den Pinsel zu schwingen.

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir

Es ist ein sehr glücklicher Umstand, dass man meiner Generation in der Schule neben der herkömmlichen intellektuellen Ausbildung auch nützliche Dinge fürs Leben beigebracht hat. Diese wiederum beschränken sich nicht nur auf das Sockenstopfen oder die Grundzüge des Nähens, sondern wir lernten ebenfalls, dass man Holz immer mit der Faserrichtung schleift, wie man sägt, bohrt, hämmert, feilt, biegt, abkantet und schraubt oder wie man sich die Hände gründlich im Schulgarten schmutzig macht. Frau lernt so etwas heute entweder gar nicht mehr oder muss sich dieses Wissen im Erwachsenenalter mühsam selbst erarbeiten, indem sie hippe DIY-Ratgeber von Frauen in rosafarbenen Overalls liest oder notfalls Kurse im Baumarkt bucht.

Dabei kann handwerkliches Arbeiten fast meditativ wirken. Beim Abschleifen geerbter, dunkelbrauner Holzstühle kann man beispielsweise wunderbar darüber nachdenken, wer wohl schon alles darauf gesessen haben mag, was man als nächstes mit den lieben Lernenden im Deutschkurs machen könnte, warum die Nachbarin schon wieder Wäsche auf der Leine zu hägen hat (das wird vermutlich zu meinem Trauma) oder was ich eigentlich noch gut gebrauchen und am besten am Straßenrand aufsammeln könnte. Denn das ist eine andere, große Schwäche von mir: Ich bin nicht nur Krachmacher. Ich bin auch ein Finder.

Vom Suchen und Finden

IMG_20140413_130009Nachdem mir bei den temporären Gärten im letzten Jahr in Bari die Kombination von roten Blüten und grünen Weinballons so gut gefallen hat, wollte ich unbedingt solche bauchigen Flaschen. Eines Tages standen doch glatt drei kleine Versionen dieser Weinballons an einem Glascontainer in der Nähe unserer Wohnung. Ich rettete sie vor der Vernichtung und stellte sie auf die Terrasse neben rot blühende Geranien. Ich bin mir fast sicher, dass ich irgendwann noch ein größeres Exemplar finden werde.

IMG_20140408_141300Als ich eines Tages nach Marktschluss in der Nähe der Marktstraße parkte, weil ich relativ  zeitig nach dem Mittagessen eine Stunde geben sollte, glaubte ich meinen Augen kaum zu trauen, als ich an unzähligen, zu einem riesigen Berg aufgetürmten Obst- undIMG_20140408_140813 Gemüsestiegen vorbeifuhr. Die Reinigungskolonne war noch nicht mit dem Aufräumen fertig. Und damit begann meine Gemüsekistenmanie. Mit dem Schleifgerät von splitternden Kanten befreit und mit ein bisschen Farbe lasiert, fungieren sie bereits als Aufbewahrungskisten für Katzenfutter, sowie als Blumentöpfe und Blumenständer. Wer weiß, was mir noch so alles für sie einfällt. Erst vorgestern habe ich wieder zwei an mich gebracht.

IMG_20140408_140659Eine weiterer, bisher noch weit unterschätzter Wegwerfartikel in Italien sind Paletten, also die ausladenden Holzkonstruktion, auf denen Waren in Geschäften angeliefert werden. Offensichtlich hat sich hier noch keine Norm durchgesetzt, denn es gibt sie in mehr oder weniger stabilen Ausführungen und verschiedenen Größen. Sie sind toll als Blumenkübeluntersetzer z.B. für unsere Bäume auf der Terrasse, wenn man unten noch vier Rollen dranschraubt. Man kann aber auch einfach darauf sitzen und ein Buch lesen oder aus ihrem Holz andere Dinge zusammenbauen. Aktuell habe ich die Idee für eine Truhe, in der ich die Mülltrennungsmülleimer stellen kann, damit sie uns der gelegentlich heftige Wind nicht über die Terrasse verteilt, im Hinterkopf. Dafür muss ich allerdings noch einige Paletten sammeln und mir eine Säge anschaffen – elektrisch natürlich, damit die Nachbarn auch etwas von meiner Bautätigkeit haben.

Palettentrendsetting im Kostümchen

IMG_7077Vor ein paar Wochen sah ich ein besonders schönes Palettenexemplar, das nur halb so groß wie ein normales war, neben einem Müllcontainer vor einem Spielzeuggeschäft im Zentrum von Bari stehen. (Man sieht es auf dem Foto unter den Töpfen hervorlugen.) Ich war auf dem Weg zum Auto, das ich weit entfernt dort parke, wo man keine Parkgebühr von zwei Euro pro Stunde bezahlen muss. Nur kurz wägte ich ab, ob sich das Tragen einer Palette mit einem schwarzen Lehrerinnenkostüm und Pumps vereinbaren ließ. Ihr wisst ja: „bella figura“ und so… . Dann beschloss ich, dass das Tragen von Paletten unbedingt Trend werden sollte, schnappte mir das Teil und hängte es mir lässig in die Armbeuge. Ich gebe zu, es verlangte einiges an Willenskraft so auszusehen, als ob das Holzmonstrum nur so viel wie eine Handtasche wiegen würde, aber hell nussbaumfarben angestrichen, gefällt sie mir gut unter dem Zitronenbäumchen. Dafür hat sich die halbe Stunde schweißtreibendes Trendsetting gelohnt. Bisher habe ich jedoch noch niemanden gesehen, der diese Mode aufgegriffen hätte. Daran muss ich also noch ein bisschen arbeiten.

IMG_20140408_140952Ein ähnliches Spektakel habe ich jedoch mit einem geflochtenen Korb von enormer Größe kurz darauf wiederholt, der jetzt als Behälter für abgestorbene Pflanzenteile und zusammengefegtem Schmutz auf der Terrasse dient. Ich hab’s ja oben schon einmal geschrieben: Ich bin ein Finder und das Finden lohnt sich. Deshalb tun mir meine Nachbarn gelegentlich ein bisschen leid, wenn ich mit meinem besten Freund auf der Terrasse herumrumore. Wenn sie mich irgendwann auf den Lärm ansprechen sollten, werde ich ihnen tröstend versichern, dass sie nur noch zwei Gemüsekisten, fünf Stühle, eine Truhe und wenige Paletten von der ewigen Ruhe entfernt sind – es sei denn, ich finde noch weitere nützliche Dinge am Straßenrand. Das kann man nicht ausschließen.

***

Euch, meinen lieben Lesenden, wünsche ich, dass ihr im Leben auch immer genau das finden mögt, was ihr sucht – und zwar nicht nur zu Ostern und natürlich nicht nur auf Materielles bezogen.

In diesem Sinne frohe Feiertage und viel Spaß beim Suchen!

Eure Corinna

14 Gedanken zu „Suchen und Finden

  1. prete2013

    damigiana

    nennen sich die schönen „Glasballons“ und sind in allen Grössen (bis 54 Liter!) für wenig Geld in Geschäften welche Winzerbedarf anbieten erhältlich.
    Unsere sind allerdings mit Wein gefüllt und nur 2 alte Mund geblasene, welche uns der Nachbar Franco schenkte dienen der Dekoration.

    Selbst ist die Frau oder la Dottoressa als Handwerkerin – weiter viel Spass beim werken und aufpassen, dass Du im Wettbewerb bez. Lärmbeschallung gegenüber Deinen Nachbarn nicht ins Hintertreffen gerätst!

    Gruss

    prete

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    1. Corinna Autor

      Na, lieber Kunstschaffender, da muss ich doch mal feststellen, wo der nächste Winzerbedarf ist. 54 Liter groß müsste sie nicht einmal sein. Ist vielleicht ein bisschen schwer… und geht bestimmt auch nicht über die Treppe auf den Balkon zu tragen.

      Was den Rest angeht: Drück mir doch mal die Daumen für ein Wochenende ohne Regen! Dann klappt’s auch mit dem lärmenden Handwerken. 😉

      Liebe Grüße zurück,
      Corinna

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    2. Corinna Autor

      Hurra! Habe vor ein paar Tagen neben einem Glaskontainer einen schätzungsweise 15 Liter fassenden Glasballon, damigiana, aufgesammelt. Da er einen ziemlich breiten Flaschenhals hat, wurde er mit einer alten Kelle und einem Teelicht zum Windlicht umfunktioniert. Sieht zugegeben etwas gruselig aus, aber vielleicht fällt mir noch eine andere Verwendung ein. 🙂

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  2. ulrisco

    Ich lese meinem Bauch gerade Pippi Langstrumpf vor und gerade gestern war Pippi eine „Sachenfinderin“ 🙂 Du bist in bester Gesellschaft und ich drücke die Daumen für weitere Schätze!!! Frohe Ostern!

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    1. Corinna Autor

      Hey, ich wusste gar nicht, dass ich eine so berühmt Vor-Finderin habe! …und wenn da mal nicht auch etwas auf Deinen Bauchinhalt abfärbt… ich wäre vorsichtig mit einer solchen Lektüre. 😉

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  3. frauhilde

    Tolle Sachen hast du da!!
    Und ich bin glatt ein bisschen neidisch. So was haben wir in der Schule nie gelernt. Ich kann ja nicht mal geradeaus nähen (krumm auch nicht, das nur am Rande …). Von Schleifen und Bearbeiten irgendwelcher Gegenstände ganz zu schweigen.
    Hach. Schön!

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    1. Corinna Autor

      Das mit den Nadeln war eine freiwillige Nachmittagsbeschäftigung und wurde hauptsächlich von denen genutzt, deren Bus ohnehin nicht früher nach Hause fuhr. Die Schulfächer hießen bis zur 5. Klasse „Werken“, ab der 6. hieß das „Werken“ dann „Produktive Arbeit“ und wurde von mir damals lange nicht so geschätzt wie heute. Als ich in die 7. kam war mit der politischen Wende der Spaß dann vorbei, hatte jedoch bereits bleibende Spuren hinterlassen. 🙂

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      1. frauhilde

        Ah, verstehe.
        Werken (TW, Textiles Werken hieß das bei uns) hatten wir auch. Da hab ich aber eher so völlig schwachmatische Sachen wie Makramee machen müssen. 😉

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        1. Corinna Autor

          Bäh… Du Arme! Bei uns fehlte das „textile“ im Titel und daher brauchten wir wahrscheinlich kein Makramee zu machen. Ich glaube, zu der Zeit als ich Werkunterricht hatte, war Makramee noch gar nicht erfunden oder hatte Probleme, über die Mauer zu springen.

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  4. Emily

    Wie schön, dass du das alles machst. In der Schule haben wir früher auch viel praktisches gelernt und ich bin dankbar dafür. Die Jungs mussten stricken und wir Mädchen plagten uns mit Technik herum. Mir hat es nicht geschadet.
    Die Obststiegen und Paletten finde ich so toll und wie genial, dass die nicht genormt sind. Wenn ich daran denke, dass die EU unsere Kaffeemaschinen normen will frage ich mich, ob es auf der Welt nichts dringenderes gibt 😉

    Liebe Grüße, Emily

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    1. Corinna Autor

      Jetzt musste ich mich erstmal darüber informieren, was Du mit den Kaffeemaschinen meinst. Das ist ja wieder mal ganz großes Kino. Da brauchte eine EU-Abteilung wohl schnell ein Projekt, damit sie etwas zum Arbeiten haben und nicht dicht machen müssen.

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